Die Traene des Drachen
versunken, an der Stelle vorbeigelaufen, wo die junge Frau ihre Richtung geändert und den Weg verlassen hatte. Er beschleunigte wieder seine Schritte und konzentrierte sich auf den immer stärker werdenden Duft nach Rosen und Lavendel. Plötzlich hielt er wieder an. Nun roch es so stark nach ihr, dass er fast glaubte, sie müsse direkt vor ihm stehen. Aber die Spur ging noch weiter. Er setzte seine Jagd mit kräftigen, aber nahezu lautlosen Schritten fort und erreichte schließlich eine Lichtung, die auf der gegenüberliegenden Seite an Felsen grenzte. Von dort strömte ihm ihr Duft mit bisher stärkster Intensität entgegen. Sie musste sich irgendwo bei den Felsen aufhalten. Er schaute in alle Richtungen, um ihre möglichen Fluchtwege abzuwägen. Sie hatte keine Chance. Wenn sie über die Felsen klettern würde, würde er sie früher oder später einholen. Ihre Spur würde er niemals verlieren. Eine Flucht an den Felsen links oder rechts entlang in den dunklen Wald hinein, um sich dort zu verstecken, würde ihr auch nicht viel nützen, da er sie sehen und ihr aufgeregtes Herz schlagen hören würde. Er dachte an ihre körperlichen Vorteile, die sie vermutlich gegenüber den meisten Frauen hatte. Dies entlockte ihm unter der Maske jedoch nur ein müdes Lächeln, da ihm sogar die schnellsten und kampferprobtesten Männer bisher immer unterlegen waren. Du sitzt in der Falle, Kleine! Maél empfand auf einmal Enttäuschung darüber, dass sie es ihm so leicht gemacht hatte. Er hatte mehr Ideenreichtum von ihr erwartet, nach dem, was er über sie in ihrer Kammer erfahren hatte. Dennoch spürte er eine Anspannung und Erregung in sich heranwachsen, die größer war als sonst, wenn er kurz davor stand, einen Gejagten zu fangen. Zum ersten Mal war sein Opfer eine junge Frau, fast noch ein Mädchen.
Mit langsamen, federnden Schritten, einer Raubkatze gleich, verließ er seine Deckung zwischen den Bäumen und trat auf die Lichtung hinaus, die von dem Schein des Mondes fast schon gleißend hell erleuchtet wurde. Jederzeit zu einem Hechtsprung bereit, falls sie ihn in Lauerstellung erwartete und ihn mit einem Pfeilschuss überraschen wollte, steuerte er auf die Mitte der Lichtung zu. Seine sämtlichen Sinne waren darauf gerichtet, ein verräterisches Geräusch oder die noch so kleinste Bewegung wahrzunehmen. Etwa sechzig Schritte von den Felsen entfernt blieb er abrupt stehen, da gleichzeitig verschiedene Geräusche an sein scharfes Gehör drangen. Neben seinem eigenen Herzschlag, der durch seine Erregung immer schneller wurde, hörte er tatsächlich das regelmäßige und langsame Atmen eines Menschen - zwar ganz leise, aber für ihn unüberhörbar. Überdeckt wurden die Atemgeräusche jedoch von etwas viel Lauterem...
Träumte sie oder war es real? Elea spürte, wie ständig Luft in ihr Gesicht wehte. Sie war noch im Halbschlaf und zu müde, um die Augen zu öffnen. Also tat sie dieses Wehen als Teil eines Traums ab. Es hatte mit einem leichten Luftzug begonnen, der sanft über ihr Gesicht strich. Dieses angenehme Fächeln verwandelte sich aber bald in einen fast sturmartigen Wind, der sie dazu zwang, mit den Augenlidern reflexartig zu zucken. Außerdem nahm sie lautes Flattern wahr. Es kostete sie große Überwindung, die Augen endlich zu öffnen. Doch was sie sah, ließ ihr Herz für einen Moment aussetzen. Denn sie wusste sofort, was es zu bedeuten hatte. Direkt vor ihrem Gesicht flatterte aufgeregt ein Uhu mit den Flügeln – ihr Uhu!
Verdammt! Mein Plan mit der Warnung hat geklappt, nur ich erkenne sie nicht als solche.
Elea war mit einem Schlag hellwach und sprang auf. Wie lange der Vogel schon da war, um sie zu warnen, wusste sie nicht. Auf jeden Fall war sie in Gefahr. Irgendjemand näherte sich ihr, daran zweifelte sie nicht im Geringsten. Aber was sollte sie tun? Hier im Versteck bleiben oder fliehen? Sie beschloss erst mal die Höhle zu verlassen, um hinter dem Felsen versteckt die Lichtung in Augenschein zu nehmen. Sie schulterte sicherheitshalber gleich ihren Rucksack und Köcher und behielt den Bogen in der Hand. Dann verließ sie nahezu geräuschlos ihre Schlafstelle und tastete sich langsam an dem Felsen entlang, der die Sicht auf den Eingang der Höhle versperrte. Vorsichtig lugte sie an ihm vorbei. Als sie die Gestalt mitten auf der Lichtung erblickte, glaubte sie, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Panisch zuckte sie zurück und lehnte sich mit dem Rücken an den Felsen. Ihre Knie drohten durch
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