Terminal 3 - Folge 1: Sterben hat seine Zeit. Thriller (German Edition)
Allison Turner
Die Münztelefone stehen am Rande der Wartehalle gleich neben den Toiletten. Ich stelle den Trolley ab und öffne meine Handtasche. Im Portemonnaie sind nur Scheine und Kreditkarten. Ich lege das Portemonnaie zurück und grabe nach Kleingeld. Meine Finger sind taub und steif. Wie tiefgefroren. Ich durchpflüge das Innere der Handtasche, Flusen und Krümel sammeln sich unter meinen Nägeln. Etwas fällt zu Boden, rollt surrend davon. Ich versuche, dem Geräusch zu folgen, doch da ist es schon verschwunden, fortgespült von dem Rauschen der Wartehalle. Ich sehe zu den Sitzreihen hinüber, sehe vertraute Gesichter. Die meisten der Wartenden saßen in derselben Maschine wie ich. Einen Augenblick lang bilde ich mir ein, ihre Stimmen sehen zu können, wie sie träge hin- und herwogen, Wellen, die hinauf zur Decke schwappen und in winzig kleinen Tropfen herabrieseln.
Wahrscheinlich liegt es an den Tabletten. Bestimmt sogar.
Meine Finger ertasten etwas Rundes, Kaltes. Ein 50-Cent-Stück, der Größe nach zu urteilen. Ungelenk ziehe ich es aus der Handtasche und nehme den Hörer ab. Ich wähle. Ich lege auf, Kupfer klimpert auf Stahl. Ich stecke die Münze wieder in den Schlitz, wähle erneut, diesmal mit Vorwahl. Ein Knacken, ein Tuten, dann eine vertraute Stimme.
»Sunrise Enterprises, Sie sprechen mit Pam.«
Mein Mund öffnet sich, doch die Worte bleiben in meinem Inneren. Ich will etwas sagen, aber ich kann nicht. Vielleicht weil ich so lange geschwiegen habe, vielleicht habe ich das Sprechen inzwischen verlernt.
»Hallo?«, sagt Pam. »Hallo, ist da jemand?«
Endlich finde ich meine Stimme wieder. »Ja, hier … Hier ist Allison.«
»Hallo Allison! Wie geht es Ihnen?« Ihre Stimme trieft vor Freundlichkeit. Er hat ihr nichts erzählt.
»Ist Richard da?«, frage ich.
»Ich schaue mal nach«, trällert Pam. »Einen Moment bitte.«
Wieder ein Knacken, ein Tuten, dann Richard. »Allison … Wo bist du? Ich hab mir Sorgen gemacht.«
»Ich bin … Ich bin noch in Albuquerque.«
»Immer noch?« Seine Armbanduhr klackert. »Was ist mit deinem Anschlussflug? Müsstest du nicht längst in der Maschine sitzen?«
»Hat Verspätung«, sage ich. Mein Mund ist trocken.
»Ich habe versucht, dich anzurufen.« Ein Vorwurf schwappt zu mir herüber.
»Mein Akku ist leer«, sage ich. »Ich habe vergessen, das Ladegerät einzupacken.«
Richard atmet in den Hörer. »Ich hab mir Sorgen gemacht.«
»Tut mir leid«, sage ich. Ein Reflex.
»Schon gut.« Dann Stille. Das Rauschen der Wartehalle. Richards Atem, tausend Meilen entfernt. »Und wie geht es dir?«, fragt er schließlich.
»Gut«, sage ich. »Es geht mir gut.«
»Ja, so was ist nie leicht«, sagt er. »Ging mir genauso. Aber das ist der Lauf der Dinge. Wie … Wie war es denn?«
Fremde Menschen in dunklen Anzügen und langen Kleidern. Sonnenstrahlen auf dem Sargdeckel. Meine Mutter in ihrem schwarzen Kleid. Kalt und blass, fast durchsichtig. Wie aus Glas.
»Ich wünschte, ich wäre häufiger bei ihm gewesen«, sage ich.
»Hör auf, dir Vorwürfe zu machen«, sagt Richard. »Das bringt doch nichts. Du hast getan, was du konntest.«
Das stimmt nicht. Doch das sage ich nicht. Mir fehlt die Kraft.
»Es ist ganz einfach der Lauf der Dinge«, sagt er noch einmal.
Dann wieder Stille. Die Wartehalle.
»Tut mir leid, dass ich nicht mitkommen konnte«, sagt er. »Es ging nun mal nicht anders. Aber ich weiß, dass du damit fertig wirst. Sonst hätte ich dich nie alleine fliegen lassen. Das weißt du doch, oder? Ich hätte dich sonst nie damit allein gelassen.«
Richards Stimme verklingt, und der Telefonhörer schlägt gegen den Metallkasten. Ich hole aus und ziele auf die Kante, das Plastik knirscht, ein Rucken durchfährt meinen Arm, endet in der Schulter.
»Was war das?«, fragt Richard.
»Mir ist der Hörer runtergefallen.«
Stille.
»Wann bist du wieder zu Hause?«, fragt er.
Ich schaue hinauf zur Abflugtafel. 30 Minuten Verspätung. Wie vor einer halben Stunde auch schon. »Ich weiß es nicht.«
»Geht bestimmt bald los«, sagt er. »Du, die Sitzung fängt gleich an. Wir reden später in Ruhe, okay?«
»Okay ...«
»Ich liebe dich.«
»Okay ...«
Er legt auf.
Ich setze mich auf meinen Koffer und knete meine Hände, um das Blut zum Zirkulieren zu bringen. Ich trage keinen Ehering. Ich habe ihn vorgestern abgenommen. Ich weiß nicht genau, warum. Vielleicht gibt es keinen Grund.
Die Sitzreihen kommen in Bewegung. Eine Mitarbeiterin der
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