Die Traene des Drachen
ungeheuerliche Wissen hätte er ihr niemals vorenthalten, als er an ihre Vernunft appelliert und ihr ihre Verantwortung in Erinnerung gerufen hatte. Sie musste es ihm sagen, auch wenn es ihrem Vorhaben nicht gerade dienlich war. Elea, denk nach! Es muss etwas geben, was ihn davon überzeugt, dass unsere Liebe doch unter einem guten Stern steht, und dass es unsere Bestimmung ist zueinander zu finden. Die Augen immer noch geschlossen haltend bemerkte Elea plötzlich, wie sehr sie fast jeden einzelnen Muskel anspannte. Die Arme, die sie gebeugt an ihre Brust drückte und die Knie, die immer noch bis ans Kinn hoch gezogen waren, schmerzten bereits. Ruckartig breitete sie die Arme aus, streckte die Beine und ließ sich auf den Rücken rollen, sodass sich ihr Kokon aus Fell öffnete und der frostige Windzug auf ihren kaum bekleideten Oberkörper traf. Sofort breitete sich eine Gänsehaut auf ihrem gesamten Körper aus, was sie jedoch in diesem Moment als Wohltat empfand. Dieser Kälteschock erfasste sogar ihren Verstand, der mit einem Mal still stand. Sämtliche problembehafteten Gedanken waren wie weggeblasen. In diesem Moment nahm sie nur die Kälte und ihren fröstelnden Körper wahr. Alles andere war unbedeutend geworden, selbst ihre zukunftlose Liebe zu Maél. Während sie sich vollkommen der Kälte hingab, erschien mit einem Mail in ihrem Kopf ein Bild, erst verschwommen, aber dann immer klarer werdend, bis es vor ihrem geistigen Auge Gestalt angenommen hatte. Dieses Bild war Bestandteil ihres letzten Traumes, der unter all den albtraumhaften Erinnerungen begraben gelegen war. Es war ein Blick auf Maél und sie selbst, ein Blick in die Zukunft, ein Hoffnungsschimmer...
Sie wickelte sich wieder in ihren Umhang ein ließ noch etwas Zeit verstreichen, bis sie sich wieder zur Höhle zurückbegab. Sie musste erst wieder Ordnung in ihre Gedanken bringen und sich eine Strategie überlegen, mit der sie Maél behutsam zu dieser Entdeckung führen konnte. Denn mit der Tür konnte sie bei ihm nicht gleich ins Haus fallen. Seine Verwandlung gehörte nicht unbedingt zu seinen bevorzugten Gesprächsthemen.
Erst als sie bereits den Rückweg zur riesigen Höhle angetreten hatte, fiel ihr Arabín ein, den sie bei ihren ganzen Überlegungen und ihrem Vorhaben überhaupt nicht miteinbezogen hatte. Schuldbewusst nahm sie Kontakt mit ihm auf. „Arabín, es tut mir leid. Ich habe dich bei meiner persönlichen Tragödie völlig vergessen. Ich weiß, dass es in deinen Augen unvernünftig ist, aber...“ Der Drache ließ sie nicht weiterreden und unterbrach sie mitten im gedachten Satz. „Du brauchst mir nichts zu erklären. Ich habe deine Gedanken verfolgt. Du brauchst dich vor mir auch nicht zu rechtfertigen und ich werde auch nicht den Versuch unternehmen, dich von deinem Plan abzubringen. Elea, dadurch, dass du eine Farinja bist, bist du ein außergewöhnliches Geschöpf und aller Wahrscheinlichkeit nach auch einzigartig. Deine Gefühle und deine Intuition sind stärker ausgeprägt, als bei jedem anderen Menschen. Und durch deine seherische Gabe ist es dir möglich, in die Zukunft zu blicken. Also werde ich mich, wenn auch zähneknirschend, deiner Entscheidung fügen und dir vertrauen müssen, wenn sie auch noch so verantwortungslos ist. Eine Bedingung stelle ich jedoch.“
Elea hatte inzwischen Arabín erreicht, der immer noch den Zugang zur Höhle versperrte und ihr seine Seite zuwandte. „Ich werde dir jedes Versprechen geben und ich werde es auch halten.“
„ Sobald ich dich rufe, wirst du umgehend deine Sachen zusammenpacken und zu mir kommen, damit wir endlich von hier verschwinden können. Ich werde fühlen, wenn Darrach sich nähert. Maél sicherlich auch. Du musst dich sofort von ihm trennen und Abstand zwischen dir und ihm schaffen. Darrach ist stärker als ich annahm. Er könnte Maél auch schon in einiger Entfernung befehlen, dich zu überwältigen und festzuhalten. Ich werde am Ausgang auf dich warten. Je größer Maéls Abstand zu mir ist, desto leichter kann ich mich seinem Befehl widersetzen, falls es dazu kommen sollte. Verstehst du?“
„ Ja. Ich verstehe“, erwiderte Elea schnell. „Du wirst mir jetzt auf das Leben deiner Familie schwören, dass du sofort kommen wirst!“ Elea leistete den Schwur ohne zu zögern, auch wenn sie zunächst schwer schlucken musste. Zu hören, wie es jemand von ihr verlangte, machte daraus eine feierliche Zeremonie, und wurde um so bindender für sie.
Arabín erhob sich und
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