Die Traene des Drachen
sehen konnte, wie Maél ihr nachrennen wollte. Der Drache hinderte ihn jedoch daran. Er stellte sich ihm in den Weg und gab angsteinflößende Knurrlaute von sich. Anschließend legte er sich vor den Gang und ließ Maél nicht aus den Augen.
Maél schritt nervös hin und her. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Er wurde schier wahnsinning aus Sorge um Elea. Er hatte vollkommen das Zeitgefühl verloren, weil er durch seinen Blutverlust und die Aufregung ebenfalls erschöpft eingeschlafen war. Immer wieder baute er sich vor dem Drachen auf, in der Hoffnung, dass er ihm den Weg frei machen würde. Dieser musterte ihn aber nur misstrauisch. Schließlich gab er es auf. Ohne nachzudenken, löste er seine Satteltasche von Arabíns Rücken und holte seinen letzten Proviant hervor, um seinem geschwächten Körper wieder neue Kraft zuzuführen. Er musste darüber mit dem Kopf schütteln. Sein Überlebensinstinkt ließ ihn nicht im Stich, obwohl er noch vor nicht allzu langer Zeit von Finlays Hand sterben wollte.
Worüber denkt dieses sture Weib nur nach? Er versuchte, sich nochmal ihre Worte in Erinnerung zu rufen, die sie ihm ins Gesicht geschleudert hatte, kurz bevor sie ihn einfach stehenließ. Während er zuvor kein Wort davon verstanden hatte – vor Aufregung oder vor Schmerz darüber, wie sehr er sie mit seiner Lüge verletzt hatte – schien die Bedeutung ihrer Worte ihm jetzt aus seinem Verstand heraus regelrecht zuzuwinken. Er vergaß zu atmen und sein Herz stolperte ein paar Schläge lang unregelmäßig vor sich hin. Nein! Nein! Nein! Wenn sie das tatsächlich vorhat... Das wäre Wahnsinn. Ich darf es unter gar keinen Umständen zulassen.
Elea rannte in dem dunklen Gang einfach stur geradeaus. Sehen konnte sie so gut wie gar nicht, da sie ihre Haare immer noch unter ihrem Fellumhang bedeckt hielt. Doch plötzlich schimmerte ihr ein rötliches Licht entgegen – ähnlich dem ihres Haars. Und dieses Licht bewahrte sie davor, direkt in die Wand zu rennen, da der Höhlengang eine Biegung nach rechts machte. Sie blieb stehen und schaute fasziniert auf einen Ausgang, der die Sicht auf die untergehende Sonne freigab. Ihr Abendrot ließ das Weiß der schneebedeckten Gipfel wie in Blut eingetaucht erscheinen. Eisige Luft wehte Elea entgegen. Sie begann sofort zu zittern. Dennoch ging sie ein paar Schritte weiter und ließ die Kurve hinter sich, weil ihr dies das Gefühl gab, eine größere Barriere zwischen ihren Gedanken und Arabín schaffen zu können. Sie legte sich auf den Boden, zog die Knie bis an ihr Kinn und wickelte sich so fest es ging in ihren Umhang ein. Dann schloss sie die Augen... Wahrnehmung und Gedanken versanken in völliger Dunkelheit. Der Wind wehte am Ausgang vorbei und zog dabei heulende Geräusche wie einen langen Schwanz hinter sich her.
Elea war sich im Klaren, dass sie sich nicht lange mit Maéls Lüge auseinandersetzen konnte, so schmerzhaft sie auch war und so sehr sie sie auch erschüttert hatte. Sie änderte nichts daran, dass sie ihn immer noch liebte und jederzeit für ihn sterben würde. Mittlerweile war sie aber auch zu der Einsicht gekommen, dass sie ihn niemals dazu bewegen könnte, sie zu begleiten. Dies hatte er ihr bei der Auseinsandersetzung mit Darrach mehr als deutlich vor Augen geführt. Und hätte Darrach sie nicht lebensgefährlich verletzt, so wäre sie in der Tat am Boden zerstört allein auf Arabíns Rücken davongeflogen. Wozu Elea aber keineswegs bereit war, war ihre Liebe aufzugeben. Sie musste Maél irgendwie dazubringen, dass sie sich liebten, und zwar nicht nur, weil sie sich mit jeder Faser ihres Körpers danach sehnte, sondern weil ihr Gefühl, ihr Instinkt, der Instinkt einer Farinja , einer Hexe der Gefühle, ihr sagte, dass es kein Fehler, aber ungeheuer wichtig für ihre Liebe war. Aber wie könnte sie ihn nur davon überzeugen, ihn der im Gegensatz zu ihr ein Vernunftmensch war und ständig von ihrer Verantwortung gegenüber dem Menschenvolk sprach. Mit Hilfe ihrer weiblichen Reize würde sie bei ihm möglicherweise ihr Ziel erreichen. Es gab mehr als eine Situation, in der er ihnen beinahe erlegen wäre. Aber das erschien ihr nicht richtig und in ihrem Fall – noch Jungfrau und unerfahren, was Männer anging – unangemessen. Und dann war da noch die Sache mit dem Portal, hinter dem ein durch und durch böser Dämon und Feringhor lauerten und das nur sie zusammen mit Arabín öffnen konnte. Davon wusste er sicherlich noch nichts. Dieses
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