Die Tränen der Henkerin
wie Ihr mir die Magd Mechthild beschrieben habt. Melissa Füger mag sein, wer sie will, eine de Willms ist sie nicht.«
Von Säckingen wurde es heiß. War es das? War er endlich am Ziel seiner Jagd angelangt? War diese falsche Melissa wirklich seine Mechthild? Er hatte schon damals auf dem Fronhof den Verdacht gehabt, dass sie keine einfache Magd war, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte. Doch was? Und wer war sie wirklich? Hatte de Bruce am Ende doch Recht gehabt und …
Er wagte es nicht, den Gedanken zu Ende zu denken. Es gab nur einen Weg, die Wahrheit herauszufinden: Er musste Wendel Fügers Gemahlin selbst in Augenschein nehmen. Ihr Antlitz würde ihm verraten, was er wissen musste.
***
Wendel erhob sich und klatschte in die Hände. »Zurück an die Arbeit, es gibt noch viel zu tun!«
Seit am Montagnachmittag der Handelszug gekommen war, hatten sie unermüdlich gearbeitet. Und noch immer hatten sie alle Hände voll zu tun. Heute würde seine Mutter eintreffen, und bis dahin wollte er das Haus herausgeputzt haben wie ein kostbares Kleinod. Sie sollte sich willkommen fühlen, sollte spüren, wie sehr ihn ihr Besuch freute. Den ganzen Vormittag hatten Selmtraud und Berbelin die Böden geschrubbt und frisches Stroh ausgelegt, die Truhen, Küchenborde und Fensterbänke abgewischt und überall duftende Sträußchen Zitronenmelisse aufgehängt. Walburg hatte unermüdlich gebacken, Hühnchen gerupft und Fische geschuppt und es dennoch fertiggebracht, ein deftiges Mittagsmahl auf den Tisch zu bringen.
»Michel und Bart«, Wendel wandte sich an die Knechte, »ihr beiden geht schon mal voraus in den Keller und macht dort weiter, wo wir eben unterbrochen haben. Wolfgang, du gehst zum Nagelschmied und holst die Nägel ab, die ich bestellt habe. Drei Dutzend, zähl sie nach. Die Herrin gibt dir Geld.« Er schaute zu Melissa, die Gertrud auf dem Schoß hielt und ihn anlächelte. »Ist die Kammer für meine Mutter bereit?«
»Natürlich. Berbelin hat sogar einen Strauß frischer Blumen auf das Fensterbrett gestellt.«
»Das ist gut. Und was ist mit Antonius?« Antonius war Wendels ehemaliger Leibwächter und ein treuer Freund, war jedoch als Bediensteter seines Vaters in Reutlingen geblieben.
»Ich habe einen zusätzlichen Strohsack in die Schlafkammer der Knechte bringen lassen.«
»Wunderbar.« Wendel gab seiner Frau und seiner Tochter einen Kuss.
Melissa erhob sich und reichte Gertrud an Selmtraud weiter. »Leg sie hin. Sie ist müde, und ich möchte, dass sie ausgeruht ist, wenn ihre Großmutter kommt, sonst wird sie vor Aufregung zu schnell quengelig.«
»Sehr wohl.« Die Magd nahm das Kind und stieg mit ihm die Treppe hinauf. Wendel warf Gertrud einen Luftkuss hinterher und ging dann auf die Hintertür zu.
Melissa drehte sich zu Wolfgang um und drückte ihm eine Münze in die Hand. »Los, spute dich, Junge.«
Wolfgang rannte los, an Wendel vorbei auf den Hof und durch das Tor auf die hintere Gasse. Gerade als Wendel ihm nach draußen folgen wollte, klopfte es laut und vernehmlich an die Vordertür. Berbelin lief hin, um zu öffnen, und schon wenige Augenblicke später trat Katherina Füger in die Küche. Ihre Reisekleidung war staubig, ihre Haube verrutscht, doch ihre Augen strahlten freudig.
»Katherina! Wie schön, dass du da bist.« Melissa umarmte ihre Schwiegermutter.
Wendel wurde es warm ums Herz. »Lass mir noch etwas von meiner Mutter übrig, Liebste.«
Melissa lachte, löste sich von Katherina, und Wendel drückte seine Mutter fest und lange. Er musste sich beherrschen, um nicht in Tränen auszubrechen.
»Da ist noch jemand, der darauf brennt, dich zu sehen, mein Sohn.«
Wendel machte sich los, zögerte einen Moment, dann nahm er Antonius ebenfalls in die Arme, nicht so lange wie seine Mutter, aber lange genug, um ihm zu zeigen, dass er nicht vergessen hatte, dass der Leibwächter und Freund ihm das Leben gerettet hatte.
Antonius verneigte sich vor Melissa. »Seid gegrüßt, Melissa. Ich hoffe, es geht Euch gut.«
»Hab Dank, Antonius. Wie war die Reise?«
»Lasst uns das bei einem Becher Wein besprechen«, unterbrach Wendel. Er lief zur Kellertür und stieß sie auf. »Die Gäste sind eingetroffen! Kümmere dich um die Pferde, Michel!«, befahl er.
Sie ließen sich nieder, Walburg servierte den Gästen Braten, Brot und frische Früchte und stellte einen Krug verdünnten Wein auf den Tisch.
»Die Reise war angenehm, Herr«, sagte Antonius und griff nach seinem Becher. »Ganz ohne leidige
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