Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
Vom Netzwerk:
Melissa dafür. Aber ich werde Erhard in dieser schweren Zeit nicht im Stich lassen, das verstehst du doch?«
    Wendel erschrak. »So habe ich das nicht gemeint, Mutter!«
    Katherina hob die Hände. »Ja, ich weiß. Und jetzt haben wir genug geklagt und gejammert wie die alten Weiber. Auf, Meister Füger, zeigt mir Euren neuen Keller!«
    Wendel lachte, machte eine tiefe Verbeugung, nahm seine Mutter am Arm und führte sie in das Kellergeschoss, das er unter dem ersten Keller hatte anlegen lassen. Rottweil war dicht bebaut, also mussten Händler wie er für zusätzlichen Lagerraum nach unten ausweichen.
    Katherina war angemessen beeindruckt von der Leistung des Baumeisters, rief immer wieder »Ah!« und »Oh!«, befühlte die schweren Balken und bewunderte die vielen großen Fässer.
    Wendels Laune hob sich. Seine Mutter hatte Recht: Er sollte nicht so viel klagen. Immerhin konnte ihm niemand sein Glück streitig machen.
***
    »Ihr bringt Nachricht von Burkhard von Melchingen?« Graf Ulrich III. von Württemberg runzelte die Stirn. »Hoffentlich habt Ihr Erfreuliches zu berichten. Meinem Freund ist doch wohl keine Unbill widerfahren?«
    Der Bote neigte den Kopf. »Er lässt ausrichten, dass er in sehr guter Verfassung ist, dass seine Pilgerfahrt erquicklich war für Geist und Seele und dass er Euch bald hier auf Hohenurach aufsuchen wird, um wieder zu Kräften zu kommen, denn er habe so sehr an Gewicht verloren, dass sein Schneider ständig damit beschäftigt gewesen sei, seine Kleider enger zu nähen. Er ist nur zehn Tagesreisen von Württemberg entfernt und brennt darauf, Euch von seinen Abenteuern zu berichten, sobald er sein Weib begrüßt und auf seinem Anwesen nach dem Rechten gesehen hat.«
    Ulrich lächelte. »Ich danke Euch für die erfreulichen Neuigkeiten. Lasst Euch in der Küche etwas Stärkendes reichen, bevor Ihr weiterzieht.« Er winkte den Boten hinaus und wandte sich an Stefan von Burgau, den Hauptmann seiner Leibgarde. »Ist alles für die Jagd bereit?«
    »Ja, Herr. Wir können jederzeit aufbrechen.«
    »Dann auf!« Energischen Schrittes verließ Ulrich den Saal. Schwerwiegende Entscheidungen standen an, und bei der Verfolgung einer Beute kamen ihm üblicherweise die besten Eingebungen. Außerdem wurde er nicht jünger, und er wollte seinen Leib kampftüchtig und bei Kräften halten, so lange es ging.
    Die Jagdgesellschaft stand bereits im Hof seiner Burg. Einundzwanzig Ritter, dreißig Treiber und vier Hundeführer warteten seit Sonnenaufgang auf den Befehl zum Ausrücken. Als Ulrich hinaustrat, verneigten sich alle. Er bestieg sein Ross, hob die Hand, und schon ging das Gebell los, die Pferde schnaubten, Hufe scharrten über das Pflaster. Ulrich lächelte. Er liebte diesen Moment des Aufbruchs. Jeder Tag war ein Geschenk Gottes, und er liebte es, beschenkt zu werden.
    Sie ritten den steilen Weg hinab, der sich ins Tal schlängelte, wandten sich nach Westen und folgten einem schmalen Bachlauf. Immer tiefer ging es in den Wald hinein. Bald schon nahmen die Hunde eine Fährte auf, die Treiber ließen sie von der Leine.
    Ulrich gab seinem Ross die Sporen, hinter ihm sprengten die Ritter über Stock und Stein. Immer wieder beschwor ihn seine Gattin, die Jagd auszusetzen, es sei zu gefährlich, und immer wieder gab er ihr Recht. Die Jagd war sogar sehr gefährlich. Im gestreckten Galopp einem Eber oder einem Hirsch hinterherzuhetzen war nicht weniger gewagt als das Tjosten oder der Zweikampf mit dem Schwert. Manch ein Ritter kehrte nicht zurück – er stürzte und brach sich das Genick oder er wurde von einem Keiler aufgespießt. Genau diese Gefahr aber war es, die Ulrich liebte, die ihm das Gefühl gab, lebendig zu sein. Ihm schlug das Herz bis in den Hals. Er wusste, dass er vielleicht noch fünf Jahre hatte, bis er für die Strapazen der Jagd zu alt war. Und diese Zeit wollte er nutzen. Was war das Leben denn für einen Mann wie ihn ohne eine anständige Herausforderung?
    Ein Hirsch sprang ihm in den Weg, verdrehte panisch die Augen und flüchtete auf einem schmalen Wildpfad. Ulrich riss sein Pferd herum, stellte sich in die Steigbügel, verlagerte das Gewicht nach vorne, krallte sich mit einer Hand in die Mähne des Rosses und griff mit der anderen die kurze Lanze. Sein Pferd verstand genau, was er wollte, und fiel sogleich in gestreckten Galopp. Hinter sich hörte Ulrich seinen Hauptmann fluchen: »Graf! Bei allen Heiligen. Haltet ein!«
    Doch Ulrich war nicht mehr zu bremsen, er musste den Hirsch

Weitere Kostenlose Bücher