Die Tränen der Justitia (German Edition)
bin ich mir nicht so sicher. Machen wir einen Test: Wohnt hier in der Strasse jemand mit einem Kleinkind?»
«Ich … nein, das würde man hören. Zudem hätte uns Frau Schneider informiert. Schliesslich ist sie unsere Quartierzeitung.»
«Auf Frau Schneider kannst du im Moment nicht zählen, sie liegt unter dem Messer. Gabi hat ein Baby bekommen.»
«Die Tochter von Petra und Kurt?»
«Ja. Sie ist seit gestern aus dem Spital zurück. Ein herziges Baby. Und dir ist natürlich nicht aufgefallen, dass sie ein Kind bekommen hat.»
Monika lächelte verschmitzt.
«Hm!»
«Bevor ichs vergesse, Viviane lässt dich grüssen. Wir wollten dich nicht wecken.»
«Sie sieht schlecht aus. Probleme mit Röbi?»
«Schwere Beziehungskiste. Sie wollte sich mit mir aussprechen.»
«Röbi ist ein Psychopath.»
«Sie will sich von ihm trennen, doch sie weiss nicht, wie er darauf reagieren wird. Dem ist alles zuzutrauen. Zum Glück ist ihre Ehe kinderlos geblieben.»
«Schlägt er sie?»
«Das frage ich mich auch. Sie verneint es zwar, aber nur halbherzig. Hoffentlich gibt das kein Drama. Sie möchte gern am Wochenende mit mir ins Berner Oberland, ins Chalet ihrer Mutter. Hättest du etwas dagegen?»
«Überhaupt nicht. Ein wenig Abstand tut ihr sicher gut.»
«Ich könnte meine oder deine Mutter fragen, ob sie für euch kocht.»
«Das ist jetzt aber ein schlechter Scherz.»
«Das finde ich auch, Mam.»
«Nikki und ich kommen allein zu Recht. Und für Puma können wir auch sorgen.»
«Ganz, wie ihr wollt. Das Angebot steht.»
«Soll das heissen, dass du bereits die Mütter gefragt hast?»
«Nur vorsichtig vorgetastet. Sie würden euch gerne verwöhnen.»
«Nein, danke!», ertönte der zweistimmige Chor.
«Gut. Ich fahre am Freitagabend und bin am Sonntag wieder zurück. Noch etwas Salat?»
«Gern.»
Viviane hatte schwere Zeiten hinter sich und Aussicht auf Besserung gab es keine. Ihr Ehemann war rasend eifersüchtig, nach seiner Meinung hatte Viviane ein Verhältnis mit einem Arbeitskollegen. Seit einigen Wochen hatte nun die Eifersucht eine neue Dimension angenommen. Jetzt trieb sie es nicht nur mit dem Kollegen, sondern auch mit einer guten Freundin vom Volleyballclub. Dass sie mit einem Mann fremd ging, konnte er noch verstehen, aber mit einer Frau! Das war definitiv zu viel, das liess sein Ego nicht zu. So machten seine Hasstiraden auch in der Öffentlichkeit nicht mehr Halt. Gestern Abend hatte er im Donati seiner Wut freien Lauf gelassen und Viviane während des Essens als dreckige Lesbe beschimpft. Als der Chef de Service ihn bat, sich im Interesse der anderen Gäste zu mässigen, schüttete Röbi ihm ein Glas Wein ins Gesicht. Für Viviane, die in einer Werbeagentur arbeitete und oft mit Kunden in diesem Restaurant sass, gab dieser skandalöse Auftritt den endgültigen Ausschlag. Sie würde sich von Robert scheiden lassen.
«Ich bot ihr an, die nächsten Tage bei uns im Gästezimmer zu übernachten, doch sie wollte nicht.»
«Sie kann unter keinen Umständen zu diesem Idioten zurück.»
«Das sieht sie zum Glück genauso. Sie wohnt jetzt vorläufig bei ihrer Mutter in Riehen.»
«Wenn das nur gut geht. Röbi ist ein Psycho und ein Macho dazu. Man verlässt keinen Robert Häring.»
«Das kannst du laut sagen. Heute Mittag wartete er nämlich vor der Agentur auf sie. Anscheinend ist er auf Viviane losgegangen. Ein Kollege half ihr und hat so Schlimmeres verhindert. Kann man nichts dagegen tun?»
«Sie muss eine einstweilige Verfügung erwirken. Falls er dann dagegen verstösst, können wir ihn reinnehmen.»
«Das wird sie niemals tun.»
«Hm, schwierig.»
«Wie wärs mit etwas Kreativität, Francesco? Es wird doch eine Möglichkeit geben, diesen Psycho zu stoppen.»
«Wie gesagt, sie muss ihn anzeigen. Und komm mir ja nicht mit deinem umwerfenden Augenaufschlag und deinem verführerischen Süssholzgeraspel, von wegen ‹Francesco, du musst der armen Viviane helfen›. Ich erinnere mich noch gut daran, als du vor Jahren mit ihr in unserem Wintergarten gesessen bist. Du hast sie angefleht, die bevorstehende Heirat zu überdenken. Aber deine liebe Freundin wollte nicht auf dich hören, sie wollte überhaupt auf niemanden hören, denn sie war ihrem Röbi hörig. Dem einzigartigen Röbi-Import-Export-Konkurs-eins-und-Pleitegeier-zwei-Macho-Arschloch. Sie hat ihn angehimmelt und alle Warnungen in den Wind geschlagen. Nun muss sie auch mit der Realität leben oder endlich den Kopf aus dem Sand ziehen und
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