Die Tränen der Justitia (German Edition)
Monaten war es morgen soweit: In Anwesenheit eines Bundesrates würde der festliche Akt vollzogen werden. Aber damit nicht genug, am gleichen Tag, am Abend des 25. April 2013, exakt um 21.05 Uhr, fand das Spiel aller Spiele statt. Der FC Basel hatte nach sensationeller Leistung gegen Tottenham Hotspurs die Halbfinals der UEFA Europa League erreicht und spielte gegen Chelsea, den amtierenden Sieger der Champions League. Das war eine Sensation, die jedes Fussballherz höher schlagen liess. Bei diesem Gedanken lief Ferrari, der sich längst Tickets fürs Heimspiel gesichert hatte, ein kalter Schauer über den Rücken. Die Messe mitsamt dem heutigen Pressetag hatte er angesichts der bevorstehenden Fussballgeschichte völlig ausgeblendet. Entnervt kurvte Nadine mehrmals um den Block. Einen Parkplatz zu finden, war ein Ding der Unmöglichkeit.
«Verdammter Mist!»
«Mit dem Tram wären wir bereits im Römerhof. Versuchs doch im Messeparkhaus.»
«Das ist hundertpro besetzt und ausserdem zu teuer.»
Sie bog in die Brantgasse ein, nicht gerade Basels erste Adresse. An der Ecke standen gelangweilt zwei Prostituierte. Nadine sah in den Rückspiegel, trat voll auf die Bremse, legte den Rückwärtsgang ein und touchierte beinahe das herausfahrende Auto. In beeindruckender Geschwindigkeit parkte sie in die frei gewordene Lücke ein, während hinter ihnen jemand wie verrückt hupte. Anscheinend spekulierte dieser Fahrer ebenfalls auf den frei werdenden Parkplatz.
«Geht doch!»
Nadine war mit sich und der Welt zufrieden.
«Riskantes Manöver würde ich sagen. Zudem vermute ich, dass dein Konkurrent schon etwas länger gewartet hat. Jedenfalls gibt er nicht auf.»
Der Mann war aus seinem BMW ausgestiegen, seine Miene verriet nichts Gutes. Ferrari verfolgte amüsiert die heftige Diskussion zwischen Nadine und dem Typen. Als es ihr zu bunt wurde, liess sie ihn einfach stehen. Der Mann notierte sich mit hochrotem Kopf die Nummer von Nadines Porsche und schrie ihr hinterher, dass das noch ein Nachspiel haben werde.
«So schafft man sich keine Freunde.»
«Der kann mich mal! Der Schnellere ist der Geschwindere», stellte Nadine nüchtern fest.
Immerhin zeigt sie ihm nicht den Stinkefinger, dachte der Kommissär. Vielleicht zeugt das ja von einer Persönlichkeitsentwicklung. Wer weiss.
Im Römerhof hetzten der Portier und eine Angestellte an ihnen vorbei. Die BASELWORLD war allgegenwärtig und verlangte ihren Tribut. Ferrari griff nach einer Hotelbroschüre. Ein Dreisternehotel mit schönen Zimmern, wenn der Prospekt keine Mogelpackung war. Preislich in Ordnung. Das Entree sah sauber aus, die letzte Renovation konnte noch nicht lange her sein. Lukas Doppler, ein kleiner, schlanker Mann im Nadelstreifenanzug, führte sie in sein Büro.
«Den habe ich mir ganz anders vorgestellt», flüsterte Nadine. «Das ist ja ein Winzling!»
Auf den Punkt gebracht! Ein kleines, unscheinbares Bübchen. Abwarten, bekanntlich kann der Schein trügen.
«Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?»
«Einen Kaffee bitte.»
«Mir auch», ergänzte Nadine.
Doppler bestellte beim Zimmerkellner zwei Kaffee und eine Latte macchiato.
«Ich komme nur für eine Stunde hierher. Dabei braucht es mich dringend. Das Hotel ist komplett belegt, aber ich kann einfach nicht. Sobald ich mit den dringlichsten Angelegenheiten fertig bin, gehe ich nach Hause … Es ist nicht zum Aushalten … Ich kann mich nicht konzentrieren … Doch daheim ist es nicht besser … Mir fällt die Decke auf den Kopf. Ab und zu muss ich raus. Julia und ich treiben uns gegenseitig in den Wahnsinn … Weshalb melden sich die Entführer denn nicht?»
«Das verstehen wir auch nicht.»
«Diese Ungewissheit … lebt Lena noch … ist sie tot … was bezwecken die Entführer? Es dreht sich alles im Kreis … immer und immer wieder käuen wir das Ganze durch … Julia macht sich Vorwürfe … unsinnige Vorwürfe. Ich überlege den ganzen Tag, weshalb Lena entführt wurde … Herr Ferrari, ganz ehrlich, wie stehen die Chancen, dass Lena lebt?»
«Es ist schwierig zu sagen. Aber ich glaube nicht, dass Lena etwas angetan wurde. Die Entführer brauchen Ihre Tochter als Druckmittel.»
«Als Druckmittel? Für was denn?»
«Das wollten wir Sie fragen.»
«Und wenn sie uns nur im Glauben lassen, dass sie noch lebt?»
«Die Entführer müssen damit rechnen, dass Sie Lena sehen wollen, bevor Sie auf die Forderungen eingehen.»
«Ich ... ich würde sowieso auf alles eingehen
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