Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
und sich dann mit deren Vorstellung an die Gäste wandte. Sie löste damit das Rätsel um ihren Namen und ihre Vorgeschichte,was allerdings für weiteren Gesprächsstoff sorgte: Juliet LaBree war gebürtige Amerikanerin und gehörte dem Ensemble einer in Wellington gastierenden Varietétruppe an. Zumindest noch einige Wochen zuvor …
»Wie kommt die ehrbare junge Dame denn überhaupt von Wellington hierher?«, erkundigte sich Michael, wobei er eher interessiert klang als inquisitorisch. Juliet hatte durchaus Eindruck auf ihn gemacht – wie wohl auf so ziemlich jedes männliche Wesen, vom Straßenfeger bis zum Bankdirektor. Und egal, wie eifrig die Herren ihren Damen zustimmten, wenn es darum ging, dass sie sicher nicht in die allerfeinste Gesellschaft gehörte: Ein bisschen beneideten sie Kevin alle um seinen Fang.
Kevin biss sich auf die Lippen. »Juliet … äh … hatte wohl genug von der Truppe. Und es gefällt ihr in Neuseeland. Sie will sich lieber hier ein neues Engagement suchen …«
»Ach ja?«, spottete Lizzie. »Dann sollte sie sich in Auckland oder Wellington danach umsehen. Und nicht ausgerechnet in Dunedin, Metropole der Church of Scotland, der Stadt mit den kleingeistigsten Bürgern der ganzen Südinsel. Was wollte sie hier singen, Kevin? Kirchenlieder?«
»Mit ihrer Stimme kann sie alles singen!«, behauptete Kevin. »Außerdem hat sich Dunedin in den letzten Jahrzehnten gewandelt – falls dir das noch nicht aufgefallen sein sollte, Mutter. Es hat hier einen Goldrausch gegeben!«
Lizzie lachte höhnisch. »Ich erinnere mich«, bemerkte sie. »In Tuapeka stehen immer noch die Ruinen der Bordelle.«
»Und du hast dort die Fahne der Moral hingetragen?«, gab Kevin zurück.
Lizzie blitzte ihren Sohn an. »Ich habe mich nie in Tuapeka ver…«
Sie hielt verschämt inne. Natürlich hatte sie ihren Söhnen nichts von ihrer unrühmlichen Vergangenheit in London und Kaikoura erzählt, aber Kevin war klug und konnte sichbestimmt manches zusammenreimen. Als Lizzie Michael auf die Goldfelder folgte, war sie jedoch längst ehrbar geworden – so weit man den Vertrieb von schwarz gebranntem Whiskey in einem Pub in Kaikoura als ehrbare Tätigkeit bezeichnen wollte.
Michael griff ein, um seine Frau zu schützen. »Kevin, deine Mutter und ich waren auch keine Engel, aber gerade das befähigt uns dazu, Juliet LaBree einzuschätzen. Sie läuft vor irgendetwas weg, Kevin. Glaub mir, ich kenne den Blick. Wahrscheinlich hat diese Truppe sie rausgeschmissen. Und jetzt war sie auf dem Weg nach Otago. Auf die Goldfelder bei Queenstown. Eine Menge Männer, eine Menge Pubs …«
Kevin strich die Segel. »Na ja, und wenn … Aber du musst mir doch zugestehen, dass sie hinreißend ist, Vater! Egal, was vorher geschehen ist, dies ist alles, was ich von ihr wissen muss. Schließlich will ich sie nicht gleich heiraten …«
Er warf einen Blick auf die wuchtige Standuhr, die sein Sprechzimmer zierte. Lizzie und Michael waren noch zu einer Matinee geladen, wie er wusste. Eine Modenschau in Lady’s Goldmine. Lizzie würde sich das nicht entgehen lassen.
Sie verstand nun auch den Wink. »Schon gut, Kevin, wir gehen ja schon«, meinte sie. »Aber so, wie ich Juliet LaBree einschätze, ist es ziemlich egal, was du möchtest. Die Frage ist allein, was sie will!«
Juliet LaBree wollte vor allem Ruhe. Wobei es ihr schwerfiel, das zuzugeben, sogar sich selbst gegenüber. Schließlich hatte sie ihr wildes Leben geliebt, sie hatte sich jahrelang nichts Schöneres vorstellen können, als sich von Stadt zu Stadt, von Theater zu Theater, von Mann zu Mann treiben zu lassen. Dies war auch das Leben gewesen, von dem sie immer geträumt hatte, durch ihre ganze Höhere-Töchter-Ausbildung hindurch. Juliet hatte sich nie für Bücher, fürs Reiten, für kleine Hausfeste und Picknicks begeistern können. Nicht nur ihr exotisches Äußeres unterschied sie von den braven Töchtern der umliegenden Plantagen im Terrebonne Parish, Louisiana. Juliet war lebenslustig, es trieb sie in Konzerte und Theateraufführungen. Nun war das nicht allzu weit entfernte New Orleans dafür auch eine ideale Stadt, und Juliets Eltern waren ebenfalls keine Kinder von Traurigkeit. Ihre Mutter war eine Kreolin aus der Karibik, irgendwann aus Jamaika nach New Orleans eingewandert – wobei sich Juliet keine Illusionen darüber machte, wie es sie dorthin verschlagen haben konnte. Zweifellos war sie nicht mit ihrer Familie gekommen, sondern mit einem
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