Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
Zimmer oder wanderte allein durch die Stadt – während Roberta von vergnüglichen Treffen und Ausflügen mit ihren Kommilitoninnen berichtete. Obwohl sie längst nicht so aufgeschlossen war wie Atamarie, hatte sie bereits Freundinnen gefunden und schien recht glücklich zu sein – abgesehen natürlich von ihrer hoffnungslosen Schwärmerei für Kevin Drury.
Atamarie dagegen fand keinen Anschluss, da nutzte ihr nicht mal die liberale Einstellung ihrer Vermieterinnen zu Männerbesuchen. Die anderen Studenten der Ingenieurwissenschaften hielten sich von ihr fern. Nachdem sie die einzige junge Frau am Anfang misstrauisch beäugt hatten, munkelten sie bald, Atamarie würde von den Dozenten vorgezogen. Anders konnten sie sich ihre hervorragenden Noten wohl nicht erklären. Atamarie war die mit Abstand Beste in ihrem Kurs. Hinzu kamen allgemeingesellschaftliche Probleme: Neuseeland hatte seine Universitäten zwar Frauen geöffnet, aber die Grundhaltung blieb englisch-viktorianisch: Ohne Anstandsdamen ließ man Jungen und Mädchen nicht aufeinander los. Eine Aufsicht über studentische Freizeitbeschäftigungen sah allerdings keineUniversität der Welt vor, und so blieb der Umgang miteinander schwierig. In Fakultäten, in denen der Frauenanteil größer war, schlossen sich die jungen Frauen meist zu Gruppen zusammen und blieben unter sich – sofern sich nicht eine verliebte und dann heimliche Treffen mit ihrem Freund organisierte.
Atamarie hatte allerdings keine Mitstreiterin, und das College für Ingenieurwissenschaften war zudem in einem eigenen Gebäude untergebracht. Es ergaben sich also auch keine zwanglosen Kontakte zu Studentinnen anderer Fakultäten. Sie blieb folglich von all dem Spaß ausgeschlossen, der ein Studium in der lebhaften Metropole Christchurch sonst zu krönen pflegte. Bootsfahrten auf dem Avon, Ruderregatten und Ausflüge in die Plains fanden ohne sie statt. Atamarie lebte nur für die gelegentlichen Wochenenden in Dunedin oder Besuche ihrer Verwandten und Freunde. Heather und Chloé kamen manchmal zum Pferderennen nach Addington, einem Vorort von Christchurch, und auch Sean hatte öfter in der Stadt zu tun. Ansonsten konzentrierte sich Atamarie auf die Hochschule – was ihre Noten noch schneller verbesserte und ihre Kommilitonen noch unfreundlicher gucken ließ.
Professor Dobbins war dagegen entzückt von seiner eifrigen Studentin, die stets zur Mithilfe bei Forschungsarbeiten und speziellen Projekten zur Verfügung stand. Das Studium selbst machte ihr schließlich immer noch Spaß, und so füllte sie auch die langen Abende zwangsläufig mit Lesen. Atamarie verschlang die Bücher von Lilienthal und Mouillard zur Theorie und zum Bau von Flugapparaten. Aber natürlich las sie auch Romane und vor allem Zeitungen. Romantische Geschichten fesselten sie stets weniger als das wirkliche Leben. Dabei stieß sie zwangsläufig erneut auf das Land, das der Reverend auf der Vernissage von Heather und Chloé erwähnt hatte: Südafrika, die Republik – oder Kolonie? – am Kap der Guten Hoffnung.
Atamarie lernte, dass dieses Gebiet ursprünglich von Niederländern besiedelt worden war. Die Niederländische Ostindien-Kompanie wünschte sich einen Vorposten zur Verproviantierung ihrer Schiffe auf dem Weg nach Java. Später waren die Siedler aber weiter ins Land vorgestoßen – und irgendwann machte die Ostindien-Kompanie Pleite, und das Land wurde weitgehend kampflos von den Briten okkupiert. Den Siedlern, die sich inzwischen Buren nannten, passte das erwartungsgemäß wenig, aber bislang hatten sie sich damit abgefunden, ohne größeren Ärger zu machen. Zumal die Engländer im Umgang mit ihnen durchaus Geduld zeigten. Atamarie fand es empörend, dass die Besatzer den Buren erlaubten, mit den schwarzen Einheimischen der Region umzuspringen wie mit Sklaven. Die Hottentotten, wie man sie unfreundlich nannte, hatten keinerlei Rechte. Nun setzten die Briten hier wohl auf langsamen Wandel – bis im Land zunächst Diamanten und dann Gold gefunden wurden!
Die Entdeckungen führten zu den üblichen Folgen – Abertausende verarmte, verzweifelte Europäer machten sich auf, um es auf den Goldfeldern zu Reichtum zu bringen. Das Ergebnis kannten die Neuseeländer aus eigener Erfahrung: Die Bevölkerung wuchs sprunghaft an, die Zentren der Goldfelder wurden zu einer Mischung aus Elendsquartieren und Lasterhöhlen. Die Buren, eher Landwirte als Händler und streng religiös, wussten damit wenig anzufangen.
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