Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
Onkel, Kardinal de Villiers, und ihr Freund André hatten sie eindringlich vor dieser Leidenschaft gewarnt. Das wäre nichts fürs ganze Leben, hatten sie gemeint. Nur ein Stück Weg, das sie gemeinsam gehen würden, gewiss sehr angenehm und auch günstig für ihre Geschäfte, das aber unweigerlich herbe Enttäuschungen für sie mit sich bringen würde, wenn sie diesem Mann zu viel Liebe schenkte. Dass es der Tod sein würde, der die Liebenden auseinanderbrachte, hatten die beiden Prälaten aber mit Sicherheit nicht gemeint.
Beinahe wäre ihr das Klopfen entgangen. Sie bewegte sich nicht. Zwischen zwei lauten Schluchzern hörte sie aber, wie die Tür leise wieder geschlossen wurde. Plötzlich zwang sie das Geplapper eines Kindes, sich nach ihm umzudrehen.
»Warum weinst du, Lilis? Ich bin doch da.«
Vor ihrem Bett stand der kleine Nicolas, sah sie erschrocken an und streckte ihr seine dicken Ärmchen entgegen.
»Ach, du bist es, Nicolas, mein kleiner Engel«, murmelte sie und drückte das Kind an ihre Brust.
Mit Tränen in den Augen sah sie Mathias an und sagte leise: »Als ich ihn zuletzt gesehen habe, konnte er noch nicht so gut sprechen.«
»Nicolas lernt schnell dazu, und er hat dich nicht vergessen, wie du siehst. Ich habe ihm jeden Tag von dir erzählt.«
»Danke, Mathias, dafür bin ich dir wirklich sehr dankbar.«
Er sah sie lange an. In sein Gesicht war Leben zurückgekehrt, und es schien ihn nicht zu stören, dass ihm seine roten Locken wieder in die Stirn fielen.
»Bist du wirklich so traurig, Alix?«
»Darüber will ich nicht sprechen, Mathias«, seufzte sie. »Jetzt nicht und auch nicht später. Nie! Für mich gibt es jetzt nur zwei Dinge, die wichtig sind: Ich muss mich mit dir um meine Werkstätten kümmern, und um Valentine, die zusammen mit ihrem großen Bruder aufwachsen soll.«
Mathias nickte nur bitter, so als hielte er das für selbstverständlich.
»Du hast mir ja gerade gesagt, was ich von dir hören wollte.«
Dann nahm er den kleinen Nicolas auf den Arm und sagte: »Komm, Nicolas, Lilis muss jetzt schlafen. Sie ist sehr erschöpft von ihrer großen Reise.«
In der Nacht bekam Alix solche Albträume, dass die Bertille davon wach wurde und zu ihr ging, um sich zu vergewissern, dass sie nicht etwa Fieber oder irgendwelche anderen Krankheiten aus dem fernen Italien mitgebracht hatte.
Die Tür von Alix’ Zimmer ließ sie angelehnt, weil sie in dieser ersten Nacht außerdem auf die kleine Valentine aufpassen musste, damit Tania sich ausschlafen konnte. Das Mädchen hatte sich von der anstrengenden Reise noch nicht wieder erholt und nickte dauernd ein.
Alix wälzte sich im Bett hin und her und schlug wie wild um sich, als kämpfte sie mit einem Teufel.
»Was für ein Unsinn!«, brummelte die Bertille vor sich hin und
beugte sich über Alix. »Es bringt nur Unglück, wenn man anderswo nach etwas sucht, was man zu Hause hat. Wozu musste sie auch diesen Herrn haben, der sie nach Italien geschleppt hat? Mathias ist der Richtige für sie, und das dumme Huhn will es einfach nicht merken.«
Mathias hatte gute Ohren und hatte zugehört. Er ging zu der alten Köchin und sagte:
»Wir müssen ihr Zeit lassen, sie ist noch nicht so weit.«
»Ob sie das überhaupt je sein wird? Diese Reisen bringen sie nur durcheinander. Sie verändern sie, und sie kommt als eine andere Person zurück. Ich weiß genau, dass sie Euch im Grunde ihrer Seele liebt. Zum Teufel noch eins! Wenn sie nicht ständig unterwegs wäre, um neue Aufträge einzuholen, hätte sie Euch längst zum Mann genommen. Nach ihrem Jacquou seid Ihr schließlich der Beste für sie.«
»Vielleicht müssen wir erst einmal warten, bis die Kinder größer sind. Hauptsache, wir lassen sie nicht mehr so lange weg. Du hast schon recht, Bertille, das bekommt ihr gar nicht.«
Er kam in Alix’ Zimmer, blieb aber an der Wand stehen, von wo aus er beobachtete, wie Alix schweißgebadet um sich schlug und sich mit beiden Händen an den Bauch griff, als würde sie gleich niederkommen.
»Und das andere?«, schrie sie plötzlich. »Das andere!«
»Welches andere?«, fragte die Bertille leise, und Mathias trat an ihr Bett.
»Das andere Kind!«
»Aber welches andere Kind denn, Herzchen?«, flüsterte Bertille. »Von welchem Kind sprecht Ihr denn? Es gibt doch nur die kleine Valentine.«
Plötzlich kam Tania zu ihnen. Sie sah verstört aus und war ganz bleich. Sie weinte leise und jammerte und schluchzte.
»Es gibt kein anderes Kind, Alix«,
Weitere Kostenlose Bücher