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Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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Kerlchen begann zu lachen, zu brabbeln und unverständliches Zeug zu plappern. Mit seiner runden kleinen Hand tapste er Alix im Gesicht herum.
    »Dein Sohn ist eine wahre Pracht, Mathias.«
    »Ein bisschen ist er auch dein Sohn«, sagte er leise. »Du hast ihn gefüttert und aufgezogen und sogar aus den Flammen gerettet.«
    »Ja, das stimmt. Irgendwie ist Nicolas auch mein Kind.«
    Sie drückte ihn noch fester an sich, fast so, als wollte sie ihn plötzlich nicht mehr hergeben. Nicolas war der Sohn, den sie selbst zweimal verloren hatte.
    »Wenn du groß bist, bringen wir dir die schöne Kunst des Webens bei, Nicolas. Eines Tages gehörst du zu den bedeutendsten Webern!«
    Damit reichte sie das Kind Bertille, die zu ihr trat und vor Glück strahlte, weil ihre Herrin endlich wieder zurück war. Ihre gegenseitige Wiedersehensfreude war herzlich und aufrichtig. Wie früher übernahm die Bertille den großen Haushalt und erledigte ihre Arbeit so gut, dass Alix unbesorgt ihren zahlreichen eigenen Verpflichtungen nachkommen konnte.
    »Nun wollen wir aber endlich sehen, welche Wunder du vollbracht hast, Mathias«, sagte Alix.
    Der junge Weber strich sich eine widerspenstige Strähne aus der Stirn, dann fuhr er mit den Fingern durch sein dichtes rotblondes Haar, an dem man ihn schon von Weitem erkannte. Es sah aus, als wollte er die rebellischen Locken zur Ordnung rufen, die bei der Arbeit immer wieder durcheinandergerieten. Eine typische Geste, wenn ihm etwas besonders am Herzen lag. In diesem Moment ging es darum, was er während Alix’ Abwesenheit geschafft hatte.
    Ein paar Sekunden lang erwiderten seine leuchtend blauen Augen den Blick von Alix, dann legte sie ihm die Hand auf die Schulter.
    »In Ordnung«, nickte er, »gehen wir.«
    Die beiden Werkstätten waren nicht weit entfernt von der Place Foire-le-Roi und vollständig wieder aufgebaut. Sie stießen nun praktisch aneinander, und die Nebengebäude, die von dem Feuer nicht in Mitleidenschaft gezogen worden waren, hatte man so vergrößert, dass sie einen Teil des Innenhofs beanspruchten und beinahe bis an die Werkstätten heranreichten.
    »Bald gehört alles zusammen«, erklärte Mathias, »dann können wir unsere Warenvorräte verdoppeln und so viel schneller arbeiten.«
    »Das ist ja großartig!«, rief Alix begeistert über den vielen neuen Platz.
    »Es war ausreichend Geld da, und das habe ich investiert«, meinte Mathias stolz auf seinen Erfolg. »Jetzt können wir einen weiteren Webstuhl kaufen und mehr Aufträge annehmen.«
    »Dann brauchen wir aber mehr Arbeitskräfte. Hast du daran auch gedacht?«
    »Selbstverständlich. Arnold kennt einen jungen Mann, der Arbeit sucht. Er wird sich in den nächsten Tagen vorstellen. Wir stellen ihn probeweise ein, und wenn er sich bewährt, behalten wir ihn.«
    Arnold und seine Frau kamen aus der anderen Werkstatt zu ihnen gelaufen, und es gab ein fröhliches Wiedersehen. Arnaude musste gleich erzählen, dass Guillemin jetzt schon ein großer Junge war und bald kleinere Aufgaben übernehmen könnte, wenn ihn Alix als Lehrbuben in ihrer Werkstatt wollte.
    »Aber Guillemin ist doch erst acht!«, protestierte Alix lächelnd.
    »Hast du vergessen, dass er bereits jeden Faden kennt und die schlechten von den guten aussortiert, ohne dass wir ihm das erklären müssten?«
    Mathias nahm Alix am Arm und führte sie aus der Werkstatt.
    »Komm mit! Ich will dir noch mehr zeigen.«
    Bereitwillig folgte sie ihm, um die anderen Wunder zu bestaunen, die der junge Weber vollbracht hatte.
    »Ich bin gespannt, was du dazu sagst.«
    Sie verließen die Werkstatt durch den Hintereingang und gelangten so auf einen Hof, der mit einer Seite an die Place Foire-le-Roi grenzte.
    Nun gesellte sich auch Julio zu ihnen und deutete mit einer einladenden Geste auf den ungenutzten, verfallenen Platz, der früher einmal einem alten Kaufmann aus Tours als Getreidelager
gedient hatte. Als der Alte ohne Erben gestorben war, hatte man das Lager geräumt und Mathias das ziemlich verfallene Gemäuer zu einem guten Preis überlassen.
    »Der Platz wäre ideal für unser italienisches Kontor!«, rief Julio begeistert. »Was meinst du dazu, Alix?«
    »In der Tat«, schwärmte die. »Es ist wunderbar!«
    »Die Grundfläche ist über vierzig Fuß lang und zwanzig Fuß breit«, erläuterte Julio mit freudestrahlenden Augen. »Hinten könnten wir die Webstühle aufstellen und vorne die Arbeitstische und die Ladentheke.«
    »Das wäre großartig! Wenn wir aus dem

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