Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
Hauptes einher, begleitet von ihren Töchtern, den jungen Prinzessinnen Claude und Renée de France. Danach kam ihr prächtiges Gefolge aus etwa hundert Brautjungfern, wohl das schönste von allen europäischen Königshöfen.
Die Orgel war verstummt, und Marguerite und Ludwig XII. schritten zu den Klängen der Gamben voran, die Ton für Ton emporschwebt. Wie hatte man im Zuge politischer Machenschaften nur glauben können, man würde dem jungen Charles V. Prinzessin
Claude versprechen, wenn nun der französische König Marguerite d’Angoulême vor den Altar führte, als wäre sie seine eigene Tochter?
Charles d’Alençon wirkte abwesend. Mit leerem Blick starrte er in den Mittelgang. Dass man ihm Marguerite d’Angoulême zur Frau geben wollte, schien ihn weder zu begeistern noch zu enttäuschen. Für ihn bedeutete es wohl einfach die Gelegenheit, endlich den alten Konflikt zwischen Armagnac und der Normandie zu bereinigen.
Der Streit um die Nachfolge im Hause Armagnac hatte das Verhältnis der beiden Familien tatsächlich zunehmend verschlechtert, und diese Ehe sollte die ständigen Querelen zwischen den beiden französischen Adelshäusern beenden. So gesehen wollte der König mit seinem klaren Ja zu dieser Verbindung die politische Position der Valois stärken.
Als Ehefrau des Duc d’Alençon konnte Marguerite d’Angoulême nicht mehr mit irgendeinem ausländischen Fürsten verheiratet werden, woraus sich möglicherweise territoriale Ansprüche ergeben hätten. Dies war umso bedeutsamer, als sich die Familie d’Alençon mehr und mehr mit England einließ, das ja nur durch den Kanal von der Normandie getrennt war.
Schließlich kannte sich Ludwig XII. nur zu gut mit den Gefahren aus, die durch Erbfolgeansprüche entstehen konnten, erhob er doch selbst Ansprüche auf sein italienisches Erbe, weil er einen Vorfahren aus dem Hause Visconti hatte. Hatte er etwa nicht Anne de Bretagne geheiratet, um Frankreich ihr bretonisches Herzogtum einzuverleiben?
Charles d’Alençon schritt so würdevoll an der Seite seiner alten Mutter, der Duchesse de Lorraine, auf den Altar zu, dass es beinahe steif wirkte. Die alte Dame konnte nur noch mit Mühe gehen. Gestützt von zwei Pagen und einigen Zofen und gefolgt von
der gesamten Familie d’Alençon ging sie gebeugt, aber hocherhobenen Hauptes nach vorne.
Auf dem lilienverzierten Teppich bewegte sich die Prozession langsam zu den Klängen des Hoforchesters zum Altar, wo der Bischof das junge Paar erwartete. Mit freundlicher Miene musterte er die junge Marguerite, die jedoch in diesem feierlichen Augenblick viel zu gerührt war, als dass sie es gewagt hätte, den Blick des Geistlichen zu erwidern.
Mit einer kurzen Geste brachte Robert Fayrfax die Gamben und Flöten zum Schweigen. Seine Hand schien in der Bewegung zu verharren, und man konnte die Stille förmlich spüren.
Die Comtesse d’Angoulême sah ihre so schöne und verletzlich wirkende Tochter an, und Tränen der Rührung standen ihr in den Augen. Um nicht weinen zu müssen, wandte sie den Blick von Marguerite hin zu Charles de Bourbon, der sie mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und Strenge beobachtete.
Und dann war alles so schnell gegangen, dass die benommene Marguerite gar nicht wusste, wie ihr geschah, als sie plötzlich neben Charles d’Alençon stand, mit dem sie nun ein Leben lang vereint war.
Es regnete Blumen, und der ganze Boden war mit ihnen bedeckt.
Aus den Fenstern des Schlosses wurden Münzen geworfen, die das Volk unter fröhlichem Geschrei auffing. Wer es sich leisten konnte, warf sie weiter, um mit gelangweilter Miene zuzusehen, wie sich die Ärmsten darum schlugen.
Aus den Brunnen floss der Wein in Strömen, und man berauschte sich auch an deftigen Liedern. Die Mädchen hoben beim Tanzen ihre bunten Röcke hoch, und die verwegensten der weinseligen Männer versuchten nach ihren Beinen zu greifen.
In den Wirtshäusern ging es munter zu, überall gab es große
Brotlaibe, Pasteten, Schweinernes und Ziegenkäse in Hülle und Fülle.
An diesem Tag waren Pilger und fahrende Händler, arme und elende Leute aus der ganzen Touraine zusammengekommen und ließen es sich auf Kosten ihres teuren Königs so richtig gut gehen.
27.
Alix hatte länger als geplant Halt in Lyon gemacht und viel Zeit mit ihrem Freund, dem Domherrn Abbé Mirepoix, verbracht, der es wieder einmal verstanden hatte, ihr neuen Mut zu machen.
Nun war sie endlich wieder in Tours! Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und das Blut
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