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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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zusammen. Dann gab er dem Tier die Sporen, hob seine Waffe und setzte auf Thiedericus zu.
    Der Verwalter erbleichte, tat einen Schritt rückwärts und packte den Schwertgriff mit beiden Händen. Ich muss gestehen, dass ich eine gewisse Befriedigung bei seinem Anblick empfand. Die Herrenmiene war von seinem Antlitz abgefallen; seine drohend zusammengekniffenen Augen weiteten sich in jäher Angst, und seine Hände zitterten. Als sein Gegner herangesprengt kam, führte Thiedericus einen ebenso ungeschickten wie vergeblichen Schlag mit dem Schwert, der ihn um die eigene Achse wirbeln ließ und fast zu Fall brachte. Der Ritter indes ließ seine Waffe mit der Ruhe eines Mannes niederfahren, der einen hoffnungslos unterlegenen Feind erkennt. Thiedericus’ Kopf flog zur Seite; seine Hände fuhren an die Kehle, wo eine breite Wunde klaffte. Sein Schwert fiel zu Boden, und seine Augen weiteten sich in einem eher erstaunten als schmerzvollen Ausdruck. Ein Blutstrom tränkte seine Hände und den laubgrünen Mantel, während er auf der Stelle schwankte, den Mund zu einem tonlosen Schrei geöffnet. Dann brach er zusammen.
    Der Anblick löste mich aus meiner Starre, gerade, als der Ritter mich erblickte und sein Pferd wendete. Mit einem Schrei sprang ich weg vom Zaun und rannte davon.
    Kaum nahm ich wahr, was sich inzwischen ringsum begab: Die fremden Krieger schwärmten durch das ganze Dorf, trieben Männer, Frauen und Kinder aus den Hütten und selbst das Vieh aus den Ställen, um alles Lebendige ohne Unterschied niederzustechen. Überall gellten Schreie, krachten Äxte und blitzten Schwerter. Einige der Angreifer hatten Holzscheite aus den Feuerstellen der Häuser ergriffen und entzündeten die Binsendächer, so dass bald die Mehrzahl der Hütten in hellen Flammen stand.
    Als ich endlich das Haus meines Vaters erreichte, war der Sturm bis in den Garten unserer Nachbarn gelangt, wo mehrere Fußknechte sich eben mühten, Gunde und ihre Kinder ins Freie zu zerren. Vielleicht hätte ich der armen Frau beistehen sollen, doch mein erster Gedanke galt meinem Vater, und so stürzte ich zur Haustür, in der Erwartung, ihn auf seinem Lager vorzufinden. Als ich jedoch die Tür aufriss, prallte ich erschrocken zurück: Da stand er vor mir, krank und schwach auf den Beinen, doch mit einem Ausdruck grimmiger Entschlossenheit auf dem Gesicht.
    „Geh ins Haus!“, herrschte er mich an, mit einer Festigkeit in der Stimme, wie ich sie seit Jahren nicht mehr bei ihm wahrgenommen hatte. Verängstigt schlüpfte ich an ihm vorbei, um hinter dem Türrahmen in Deckung zu gehen, während er ins Freie trat und die Sense ergriff, die noch immer am Zaun lehnte.
    Unterdessen hatte im Garten unseres Nachbarn ein grauenvolles Schauspiel seinen Lauf genommen. Vier von Gundes Kindern lagen erschlagen am Boden. Das jüngste, das noch kaum aufrecht gehen konnte und mit tränenüberströmtem Gesicht zum Haus zurückwankte, wurde soeben von einem der Fußknechte niedergetreten. Gunde, die verzweifelt schrie, war zu Boden geschleudert worden und wurde von mehreren Männern niedergehalten. Ihr Leinenkleid war bis zum Nabel hinauf zerrissen. Der Apfelkorb lag neben ihr am Boden; die Früchte waren in alle Richtungen davongerollt.
    Der Ritter, von dessen Hand Thiedericus gefallen war, hatte offensichtlich von meiner Verfolgung abgelassen, als er des Weibes ansichtig wurde. Er war vom Pferd gestiegen, hatte den Garten betreten und raffte eben sein Kettenhemd empor, um die Bruche, die lange, wollene Unterhose, herabzuzerren und sich zwischen Gundes Schenkel zu drängen. Die Männer johlten und hielten die gepeinigte Frau am Boden, während ein Hauptmann mit einem Eisenhut das Dach der Hütte in Brand steckte, um dann seelenruhig einen Apfel aufzuheben und hineinzubeißen.
    Mit wild klopfendem Herzen beobachtete ich, wie mein Vater geradewegs auf die Männer zuhielt, mit einiger Mühe den niedrigen Zaun überstieg und die Sense erhob. Erst jetzt wurde mir klar, was er vorhatte, und ich hätte ihm zurufen mögen, von diesem irrsinnigen Unterfangen abzulassen. Doch sein verzweifelter Mut erfüllte auch mein Herz mit plötzlicher Härte, und so verharrte ich auf meinem Posten hinter der Tür, gab keinen Laut von mir und sandte ein stummes Stoßgebet zum Himmel.
    Da die Männer mit der am Boden liegenden Frau beschäftigt waren, bemerkte niemand meinen Vater, bis er auf wenige Schritte herangekommen war. Der Hauptmann mit dem Eisenhut war der Erste, der aufblickte.

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