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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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Sonnenstand für die nördliche hielt, und schlug mich weiter durch den Wald.
    Ich wanderte viele Stunden lang, und so war es bereits später Nachmittag, als ich auf einen Pfad stieß. Ihm folgte ich, bis die Bäume sich lichteten und Wiesen auftauchten, die in Ackerfelder übergingen. Offenbar näherte ich mich einem Dorf. Inzwischen quälte mich der Hunger, und ich verschlang alles Essbare, das ich am Weg vorfand, zunächst eine Handvoll Beeren, dann Sauerampfer und Kresseblätter. Hätte irgendeine Feldfrucht in voller Blüte gestanden, würde ich ohne Skrupel zugegriffen haben, doch die Äcker, die ich passierte, lagen brach.
    Ich schlug einen Feldweg ein und erreichte nach kurzer Zeit die dazugehörende Ortschaft. In ihrer Bescheidenheit ähnelte sie meinem Heimatdorf, besaß etwa ein Dutzend Hufen und einen Dorfplatz mit Brunnen.
    „Gott zum Gruß!“, rief ich eine junge Frau an, die im Garten ihres Hauses eine Schar Gänse fütterte. Die Frau sah auf, grüßte jedoch nicht, sondern musterte misstrauisch meinen zerrissenen Kittel und mein abgezehrtes Gesicht. „Ich möchte Euch warnen: Die Truppen des Markgrafen Albrecht haben meine Heimat verwüstet und überziehen wahrscheinlich die gesamte Grafschaft mit Krieg!“
    „Grafschaft?“, fragte die Frau verständnislos, während die Gänse sie schnatternd umdrängten.
    „Gehört dieses Dorf denn nicht dem Grafen von Blankenburg?“, fragte ich.
    Die Frau schüttelte den Kopf. „Dem Bischof von Halberstadt.“
    Ich staunte: Offenbar hatte ich mich bereits weit von meiner Heimat entfernt.
    „Wir haben gehört, dass Krieg ausgebrochen ist“, sagte die Frau. „Doch was soll uns deine Warnung? Wir sind Hörige und dürfen nicht fortgehen ohne die Erlaubnis unseres Verwalters.“
    Ich nickte entmutigt. Den einfachen Leuten blieb nichts anderes übrig, als auszuharren und zu hoffen, dass das Unheil ihr Dorf verschonte.
    „Habt Ihr etwas zu essen für mich?“, setzte ich rasch hinzu. „Ich würde Euch segnen für ein wenig Brei und einen Schlafplatz für die Nacht.“
    Die Frau winkte ab. „Ich habe sieben Kinder“, sagte sie mit einer Stimme, die plötzlich viel älter und müder klang, als ihre jugendliche Erscheinung vermuten ließ. „Ein achtes kann ich nicht auch noch durchfüttern.“
    Enttäuscht wandte ich mich ab und wanderte zum Brunnen, wo ich dasselbe Gesuch an einen alten Mann richtete, der vor seiner Haustür saß.
    „Scher dich fort, Wendensohn!“, krächzte er und spuckte aus, als ich mein Sprüchlein aufgesagt hatte. „Hier gibt es nichts für dich.“
    Ich hatte keine Ahnung, was ein Wendensohn war, begriff jedoch immerhin so viel, dass weitere Verhandlungen mit dem mürrischen Alten zwecklos waren. So lenkte ich meine Schritte zum Ausgang des Dorfes, wo ich eine Gruppe von Männern ansprach, die mit einem Heukarren von den Feldern heimkehrten.
    „Wenn du essen willst, musst du arbeiten“, sagte ein derber, vierschrötiger Kerl mit verwachsener Lippenscharte. „Wie alt bist du, Bursche?“
    „Vierzehn“, log ich kühn.
    Der Bauer packte prüfend meinen Arm mit einer schweren, behaarten Hand, die zweifellos kräftig genug gewesen wäre, um mir die Knochen zu brechen.
    „Zu mager“, brummte er. „Du kannst noch keine Männerarbeit tun.“
    „Ich habe in diesem Jahr die Ernte meines Vaters ganz allein eingebracht“, beharrte ich, wenngleich ich mir – bei freier Wahl – nicht eben diesen unfreundlichen Menschen zum Brotherrn gewünscht hätte.
    „Und wo ist dein Vater?“, fragte der Bauer. „Kann er das bestätigen?“
    „Nein“, gestand ich. „Er ist tot.“
    „Das kann jeder behaupten“, beschied der Mann gleichgültig und wandte sich zum Gehen.
    Die Sonne sank, und als es dunkelte, erreichte ich erneut ein Waldstück und richtete mir einen kleinen Haufen aus gefallenem Laub als Nachtlager. Es war September und am Tage noch warm gewesen; die Nacht jedoch wurde empfindlich kühl, und Kälte und Hunger ließen mich kaum Schlaf finden. Am Morgen zog ich weiter, beständig nach etwas Essbarem Ausschau haltend, und fand zum Glück einige Nüsse und Bucheckern, die mich auf den Beinen hielten.
    Ähnlich wie am Vortag erging es mir im nächsten Dorf, das ich gegen Mittag erreichte, und ebenso im dritten, dessen Hütten vor mir auftauchten, als die Sonne schon wieder sank. Niemand wollte mir Arbeit oder Nahrung geben, sosehr ich auch bat und flehte. Am Ende wartete ich, bis es dunkel geworden war, kletterte lautlos über

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