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Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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widerwärtigsten Sünde, vor der selbst die Tiere zurückschreckten, und die ihn aus der gesamten Schöpfung ausstieß. Er war zu einem lebensunwürdigen Wesen jenseits allen Erbarmens gestempelt. Jeder durfte ihn straflos töten… Ihm, der die Sarazenen als Feinde der Christenheit bekämpft hatte, waren die eigenen Glaubensbrüder zu Feinden geworden.
    Haltsuchend lehnte sich Jocelin an eine Mauer.
    Seine Hand ertastete fein skulpturiertes steinernes Rankenwerk. Als er aufsah, erkannte er, dass er im Portal einer Kirche stand. Er trat ein, hastig, als ein Flüchtling vor einer feindlich tobenden Welt in den bergenden Schoß Gottes. Aber nur einen Augenblick lang umfing ihn das Gefühl der Sicherheit. Aus dem Halbdunkel des niedrigen Kirchenraumes grinste ihn eine dämonische Fratze von einem der Kapitelle an. Sie zog Jocelins Blick an und fesselte ihn.
    Hatte das Böse von der Heiligen Kirche Besitz ergriffen? War es stärker als die erlösende Kraft Christi? Die Fratze blähte sich, verdeckte das klein und hilflos wirkende Kruzifix auf dem Altar. Jocelin versuchte zu beten, aber die Krallen der Teufelsfratze umschlossen seinen Hals. Er berührte das Templerkreuz auf seinem Gewand und rang nach Atem.
    ‚Gesegnet, die bezeichnet mit dem Zeichen des Lammes...‘
    Für ihn und all seine Brüder war das Kreuz ein Fluch geworden, ein Mal des Todes.
    „Wir sind unschuldig, du weißt es, Herr Gott!“ flüsterte Jocelin, versuchend, sich von der Teufelsfratze zu befreien.
    „Hilf mir! Hilf mir!“
    Er schlug die Hände vors Gesicht und fiel auf die Knie. Was sollte er tun? Wohin sollte er gehen? Solange er zurückdenken konnte, war eines der Ordenshäuser seine Heimat, und die Brüder seine Familie gewesen, er kannte nichts anderes. Und jetzt?! Wer war Freund und wer war Feind in einer Zeit, in der die Freunde und Beschützer von einst sich zu Feinden und Verfolgern gewandelt hatten?
    Erst im Schutz der einbrechenden Dunkelheit wagte sich Jocelin aus der Kirche. Zur drängendsten Sorge waren ihm Hunger und Durst geworden. Er beschloss, in das Universitätsviertel umzukehren.
    Dort erklangen aus unzähligen winzigen Schankstuben die Lieder der Spielleute. Er entdeckte einen Schweinetrog, in dem bereits ein Straßenjunge herumwühlte.
    Der Halbwüchsige maß den Mann im Pilgergewand mit einem feindseligen Blick. Aus dem Trog stieg ekelerregender Gestank auf, und als der Straßenjunge sich ein angeschimmeltes Brot in den Mund schob, krümmte sich Jocelin würgend zusammen. Er wankte zurück und setzte sich auf eine Stufe, bis die Übelkeit vergangen war.
    Dann wandte er sich in Richtung des Klosters Saint Germain de Près. Vielleicht gab man dort einem Pilger ein Almosen...
    Plötzlich verstummten die Flötenklänge aus dem nahe gelegenen Gasthaus, und der Gesang wurde von wütendem Geschrei abgelöst. Eine Rauferei bahnte sich an. Schon wurde die Tür aufgerissen und einige Männer stürmten heraus. Sie zerrten einen sich heftig wehrenden Jüngling im Studententalar mit sich. Schwertklingen und Dolche blitzten auf. Dies war mehr als ein harmloser Streit! Der Student wurde zu Boden gestoßen, ein Stiefel drückte ihn nieder.
    Er schrie um Hilfe, aber niemanden schien die Ungleichheit des Kampfes zu stören. Ein paar Huren brachten sich kreischend in Sicherheit, Straßenjungen verfolgten neugierig das Geschehen. In diesem Augenblick vergaß Jocelin die Gefahr, in der er selbst sich befand.
    Er packte den Pilgerstab mit beiden Händen und hieb ihn dem zunächst stehenden Raufbold in den Rücken. Der wandte sich ebenso verwundert wie erbost dem Fremdling zu, der sich einzumischen wagte. Nach dem zweiten Schlag zerbrach der Pilgerstab. Jocelin warf das Holz fort und zog sein Schwert. Die anderen vier Männer griffen ihn von der Seite an.
    Jocelin täuschte sie mit einem geschickten Ausfall, entwaffnete seinen ersten Gegner und wechselte die Klinge in die linke Hand. Angesichts der unerwarteten Kunstfertigkeit des Fremdlings verzogen sich die Raufbolde ohne es auf einen Kampf ankommen zu lassen.
    „Für einen Pilger seid Ihr verdammt gut bewaffnet“, sagte der Student leise, und Jocelin wurde bewusst, wie unüberlegt er gehandelt hatte. Er schlug den Pilgermantel zurück und schob sein Schwert in die Scheide.
    „Ihr werdet mich nicht verraten.“ Es klang wie eine Beschwörung.
    „Ihr habt mir das Leben gerettet... Sire. Nun, ich habe nichts, um Euch meinen Dank zu zeigen. Aber wenn Ihr wollt, könnt Ihr diese Nacht bei

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