Die Tränen des Herren (German Edition)
aufgetaucht, ehemalige Templer aus Frankreich, die einer der alten Brüder auf den sicheren Weg in den Süden gesandt hatte. Doch es waren weniger geworden mit den Jahren. Im Sommer hatte Jocelin zum letzten Mal drei dieser speziellen Gäste auf dem Kastell beherbergt. Er erinnerte sich an die Neuigkeiten, die sie mitgebracht hatten: vom Tod des Großinquisitors Guillaume Imbert...
Jocelin schloss den Fensterladen, um die heraufziehende Kühle auszusperren. Imbert... Der letzte ihrer Verfolger und Folterer, der vor den Richtstuhl Gottes befohlen worden war! Alle anderen waren sie tot unterdessen: Papst Clemens und König Philipp, die nur ein paar Wochen nach der Verurteilung von Meister Jacques in die Ewigkeit abberufen worden waren. Enguerrand de Marigny, den man der Veruntreuung angeklagt und gehängt hatte, sein Bruder Philipp, Erzbischof von Sens...
Ihre Gesichter vor Augen stieg Jocelin langsam die schmale Treppe hinunter, zuerst in die obere Wachstube, wo drei Männer seines Kontingents bei einem Brettspiel saßen, um sich die Abendstunden zu vertreiben, und dann hinunter in die Räumlichkeiten, die seiner eigenen Familie als Heim dienten.
Ghislaine war gerade dabei, Brot zu schneiden. Sein jüngster Sohn, der vierjährige Jacques, saß ungeduldig mit den Beinen strampelnd am Tisch und versuchte den großen Suppentopf in dessen Mitte zu erreichen. Sein älterer Bruder Arnaud stand noch auf Zehenspitzen an einem der Fenster und spähte hinaus in die aufziehende Dunkelheit.
„Arnaud, mach die Läden zu, es wird zu kalt hier drin!“ rief Ghislaine.
Der Junge streckte die Hände nach den Eisenschlaufen aus. „Da kommt noch jemand durch die Furt!“ rief er dann. „Ein Engel! Ein weißer Ritter! Sieh mal, Mama!“
Sie trat zu ihm - und traute ihren Augen kaum. „Mein Gott... das ist ... Yvo!“
Jocelin beugte sich neben ihr aus dem Fenster. Auch sein Blick blieb wie gebannt an der Gestalt zu Pferde haften, die jetzt auf das Tor zuritt. Yvo trug einen weißen Waffenrock und einen Mantel, der sich im Abendwind bauschte, weiß und mit einem roten Tatzenkreuz auf der linken Seite! Narrten ihn die Sinne oder was bei allen Heiligen sah er da?!
Ghislaine war bereits aus der Tür, und Arnaud rannte ihr hinterher. Jocelin folgte ihnen so rasch er konnte. Merkend, dass der kleine Jacques versuchte, sich an seinem Umhang festzuklammern, hob er sein Söhnchen auf die Schultern.
Kurz darauf standen sie im dämmrigen Burghof einem jungen Mann gegenüber, der aus einer längst vergangenen Welt zu stammen schien. Und doch machte der Schweißgeruch seines Pferdes, die Atemwölkchen in der Luft und der Klang seiner Stimme deutlich, dass es kein Traumbild war.
Jocelin strich über den Stoff des Mantels und das aufgenähte Kreuz und sah jetzt auch, dass es nicht ganz jenes war, das die Ordensgewänder der Templer einst geziert hatte. In der Mitte des roten Stoffes war ein kleines weißes Kreuz zu sehen.
„Das Kreuz der Christusritter!“ rief Yvo, sich aus der Umarmung seiner Mutter lösend. „König Diniz hat den Orden neu gegründet! Seht, Sire Jocelin! Das weiße Kreuz als Zeichen unserer Unschuld! Unsere Ehre ist wieder hergestellt! Überall wird man wieder unser Banner sehen können! Ich bin sofort los geritten, um Euch die Nachricht zu bringen!“
Jocelin ergriff seine Hände und dankte ihm mit einem stummen Nicken, zu bewegt, um Worte zu finden. Ja, es war gute Botschaft, eine Gnade, ein Geschenk, die seinen gejagten und entrechteten Brüdern da zuteil geworden war!
„Aber unsere Ehre“, dachte der ehemalige Komtur der freien Templer und jetzige Kastellan von Jordao, während er Ghislaine und ihrem unverhofften Gast zum Turm nach schritt, „...unsere Ehre kann nur der wiederherstellen, der sie uns genommen hat. Der Heilige Vater in Rom. Nur er kann das Unrecht beseitigen, den Makel der Verleumdungen tilgen...uns den Frieden geben...“
An der Pforte blieb er noch einen Moment stehen und wandte sich um in die beginnende Nacht, die die Berghänge einzuhüllen begann und sich über den Burghof breitete. Auf der Mauer schwang eine Laterne im Wind.
„Nur der Heilige Vater in Rom“, wiederholte Jocelin leise, und das Fauchen des Windes trug seine Stimme mit sich. „Wir werden warten und beten... und unsere Nachfolger werden warten und beten. Bis der Tag gekommen ist.“
Anhang
Historische Personen (im Umfeld des Königs):
Clemens V.
Papst von 1305 – 1314, gest. im April 1314
Floyran, Esquieu
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