Die Tränen des Herren (German Edition)
mir bleiben... ich denke, es gibt nicht viele Plätze, wo Ihr Aufnahme finden werdet! - Ich habe ein Zimmer unten an der Seine.“
„Könnt...“ Jocelin stockte und sah zu Boden. Wie entwürdigend war es für einen Ritter, so betteln zu müssen! “...Ihr mir etwas zu Essen geben?“
„Morgen. Meine Wirtin legt mir jeden Tag frisches Brot vor die Tür.“
Die Kammer des Studenten lag unter dem Dach eines schmalen Fachwerkhauses, dessen Füllwerk an einigen Stellen schon heraus gebrochen war. Das Obergeschoß, erreichbar nur über eine wacklige Treppe, hing gefährlich weit über den Fluss. Der Lärm der Lastschiffer klang herauf. Trotzdem schlief Jocelin schon bald nachdem er sich auf dem dünnen Strohsack ausgestreckt hatte.
Der Student hingegen fand keine Ruhe. Mit steigender Nervosität lauschte er auf die Kommandos der Schiffer.
„Ich gewähre einem Ketzer Zuflucht“, dachte er. „Einem bösartigen Feind der christlichen Gesellschaft.”
Er blickte zu Jocelin, während seine Gedanken um die Anklagen kreisten, die er am Morgen gehört hatte. Nein, eigentlich wirkte der Ordensbruder nicht wie ein solcher Verbrecher!
Aber wie hatte es im Aufruf Seiner Majestät gestanden?
‚Wölfe im Schafspelz.‘ Und war es nicht das Kennzeichen jedes Häretikers, sich zu verstellen, um die Rechtgläubigen vom Weg abzubringen? Gerade dies war ein Fallstrick des Teufels, wie die Doktoren sagten... Der da hatte ihm geholfen... und? Einem Ketzer gegenüber gab es keine Verpflichtungen, galten keine Versprechen!
Der Student setzte sich und fuhr in seine Stiefel. Er wollte Gott nicht beleidigen, und er wollte auch nicht zulassen, dass er durch Ketzerei beleidigt wurde. Leise öffnete er die Tür der Kammer, trat hinaus und schob die Riegel von außen vor. Dann verließ er eilig das Haus. Aber als er an der Pforte des Franziskanerkonvents ankam, scheute er sich zu klopfen. Er ging noch lange auf und ab, ehe er den Mut fand, den eisernen Türklopfer zu heben und gegen das Holz zu schlagen.
„Gelobt sei Jesus Christus“, murmelte eine schläfrige Stimme durch das vergitterte Pfortenfensterchen. „Was kann ich für dich tun, mein Sohn?“
Der Student trat näher und befreite sich hastig flüsternd von seinem Wissen: „Am Quai du Chastelet, im zweiten Haus vor der Rue de Lavande hält sich ein Templer versteckt, in der Dachkammer.“
„Ich danke dir, mein Sohn.“ Die Stimme klang merklich munterer. „Gott möge dich segnen, dass du uns hilfst, Seine Feinde zu bekämpfen!“
Der Franziskaner machte das Kreuzzeichen, aber der Denunziant war bereits fort.
Ein polterndes Geräusch. Jocelin schreckte hoch.
Im nächsten Augenblick bemerkte er, dass er allein war. Von unten war eine gedämpfte Unterhaltung zu vernehmen. Dann Stille. Und dann ein Ton, den Jocelin nur allzu gut kannte: das Schleifen, wenn Schwerter aus der Scheide gezogen wurden. Hastig sah er sich um. Nur eine Tür. Hinter ihr lauerten die Häscher der Inquisition. Der Dachstuhl? Unmöglich. Das Fenster! Der junge Ordensbruder stürzte zu der kleinen Öffnung, riss die Pergamentbespannung heraus, warf einen Blick hinab. Schwärzlich glitzerndes Wasser. Er konnte nicht schwimmen. Aber es gab keine andere Wahl. Die morsche Treppe knarrte unter den Stiefeln. Jocelin entledigte sich des hinderlichen Pilgermantels und hing sich den Schwertgurt über die Schulter. Vorsichtig stieg er aus dem Fenster. Sein linker Fuß fand ein aus der Mauer ragendes Balkenende, die rechte Hand krallte er in eine Fuge. Jetzt flog die Tür auf. Jocelin ließ den Fensterrahmen los und duckte sich an die Seite.
„Er ist abgehauen!“ brüllte einer der Bewaffneten. „Da, durchs Fenster! Ich seh‘ ihn! Armbrustschütze!”
Verzweifelt suchte der Ordensbruder einen Halt, der es ihm ermöglichen würde, näher zur Hausecke zu kommen. Sein rechter Fuß glitt von der schmalen Fachwerkstrebe, er rutschte ab und konnte gerade noch den letzten Balkenstumpf packen. Doch der Fall brachte ihn wenigstens aus der Reichweite des Armbrustschützen. Er hörte die Söldner fluchen. Sie würden nicht so bald aufgeben. Er hangelte sich noch ein Stück näher an die Hauswand. Wenn er geschickt genug sprang, konnte er den Uferweg erreichen... Er schloss die Augen und ließ los. Nur um eine Handbreit verfehlte er die Kaimauer. Er atmete tief durch und richtete sich langsam auf. Zwischen den Häusern standen ein gutes Dutzend Söldner der Stadtwache mit gezogenen Schwertern; zwei von ihnen setzten
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