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Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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sich soeben zum Ufer in Bewegung. Jeden Augenblick würden sie ihn entdecken. Ihm blieb keine Zeit zum Überlegen.
    Einer der Söldner erhaschte einen Blick auf die weiße Tunika und schrie: „Dort! Hinterher!“
    Jocelin kannte sich diesem Teil der Stadt nicht aus. Kurz entschlossen bog er in eine Gasse ein. Wie drohende schwarze Dämonen ragten die Fassaden der Häuser hier in den Nachthimmel. Eine Treppe führte in eine nächste, mit Arkaden überspannte Straße. Beinahe wäre er den Bewaffneten in die Arme gelaufen.
    Er machte kehrt und flüchtete durch ein großes Steintor. Ein Moment blieb ihm, gerade genug, um die Schmerzen in seinen Gliedern zu spüren. Dann waren die Söldner wieder hinter ihm. Er rannte weiter durch ein endloses verwirrendes Labyrinth von Gassen, Arkaden, Stufen und Häusern, doch sie blieben ihm auf den Fersen. Sie kannten jeden Winkel, jede Abkürzung, kamen näher und näher. Jocelin hatte den Eindruck, im Kreis zu laufen. Erschöpft stürzte er auf die Knie. Er horchte in die Finsternis, aber diesmal dröhnte nur der eigene Herzschlag in den Ohren. Aber bald hallten die Befehle der Söldner wieder durch die Gassen. Mühsam kämpfte er sich halb laufend, halb stolpernd vorwärts.
    Unvermittelt stand er vor einer mächtigen Mauer. Er folgte ihr eine Zeitlang ohne erkennen zu können, wie weit sie reichte. Jenseits der Mauer erhob sich die Silhouette eines Vierungsturmes und zweier schlanker Westtürme.
    Saint Germain de Près! Jocelin schluchzte vor Erleichterung. Dorthinein würden sie ihn nicht verfolgen können! Aber noch war er nicht innerhalb des schützenden Klosters.
    Die Mauer war übermannshoch und ohne Hilfe nicht zu erklimmen. Von der Krone rankten sich Weinreben. Jocelin versuchte sie zu fassen, erwischte jedoch nur die äußersten Spitzen. Das Trampeln der Söldnerstiefel kam näher. Einem Einfall der Verzweiflung gehorchend stieß der Flüchtling sein Schwert in eine Fuge zwischen den Steinen und stemmte sich daran hoch. Die Klinge federte gefährlich, hielt aber stand. Er griff in die Weinranken, riss das Schwert wieder heraus und zog sich mit letzter Kraft über die Mauer.    
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    Die Glocken der Abtei Saint Germain de Près läuteten schwungvoll den neuen Tag in die noch dichte nächtliche Dunkelheit ein.
    Der Küchenmeister Bruder Cölestinus machte sich auf den Weg zu den Hühnerhäusern, um die Eier einzusammeln. Zufällig blickte er zur Seite und gewahrte zwischen den Schemen der Bäume einen hellen Schimmer. Waren die Ziegen etwa schon wieder im Gemüsegarten? Der alte Mönch trat entschlossen durch das Gebüsch und hob die Lampe.
    Das Licht fiel auf einen Mann im Kettenhemd und dem Ordensgewand der Templer. Er hielt ein blankes Schwert in den Händen, dessen Spitze er nun auf den Mönch richtete. In seinen Augen lag der Ausdruck eines gehetzten Tieres, das alles zu wagen bereit war. Bruder Cölestinus neigte den Kopf, als sähe er nicht recht.
    Jocelins Arme begannen zu zittern.
    Der Mönch schien überhaupt keine Furcht zu haben! Mit freundlicher Stimme sagte er: „Legt das Schwert fort, Bruder! Ich bin nicht der rechte Gegner für Euch. „
    Ein brummendes Geräusch ging von Jocelins Magen aus. Er schluckte in dem vergeblichen Versuch, es zu unterdrücken.
    „Ihr habt Hunger? Kommt mit mir in die Küche, ich gebe Euch etwas zu Essen!“
    Der Mönch tat, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, dass ihn früh um Fünf im Gemüsegarten ein Tempelritter mit dem Schwert bedrohte. Jocelin fragte sich, ob er überhaupt von der Verhaftung gehört hatte. „Ich... ich bin ein Templer“, sagte er.
    „Ich kenne die Tracht Eures Ordens.“ Bruder Cölestinus lächelte. „Christus hat uns geboten, die Hungrigen zu speisen, auch wenn sie zufällig eine weiße Tunika mit rotem Kreuz tragen!“
    „Die Inquisition hat geboten, uns alle anzuzeigen!“ erwiderte Jocelin. „Und das willst du tun, nicht?“
    „Ich will Gott dienen, nichts sonst.“
    Die Hand des Mönchs senkte sich auf das Schwert und drückte die Klinge langsam nach unten. Die einfache Güte des Mönches überwand Jocelins Misstrauen. Er ließ sich in das geräumige Küchengebäude führen.
      Guillaume de Nogaret warf einen missbilligenden Blick auf seine beiden Söhne, als er das Haus verließ. Sie bereiteten sich auf die Jagd vor. Sie hatten überhaupt an nichts anderem Interesse als an der Jagd und Mädchen! Er hingegen saß von früher Stunde bis spät in die Nacht über Protokollen und

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