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Die träumende Welt 01 - Der Traumstein

Die träumende Welt 01 - Der Traumstein

Titel: Die träumende Welt 01 - Der Traumstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Wylie
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Gewalt. Sie ging leichtfüßig, schwang die Hüften, ein Lächeln auf den Lippen - in ihrem Innern brach ein Aufstand los.
    Die Schwärze hatte von ihr Besitz ergriffen wie ein Tier, das die Flammen verschlingt und sie in einen Strudel aus Irrsinn taucht. Ihr Körper jedoch war eine Marionette, deren Fäden Mendle in der Hand hielt. Ein winziger Teil von ihr blieb wachsam, beobachtete alles, aber in ihr Tun eingreifen konnte er nicht.
    Ihr Auftritt wurde begleitet von Gemurmel, erstaunten Lauten und beifälligem Pfeifen aus dem Publikum. Hinter den Lampen an der Bühnenrampe erkannte sie einen schwach ausgeleuchteten Saal, Gruppen von Männern, die an mit Getränken übersäten Tischen hockten, während andere weiter hinten im Schatten blieben. Qualm vernebelte zusätzlich den Raum.
    Gemma erreichte ein weißes, auf die Bretter gemaltes Kreuz und blieb stehen, ohne nachzudenken. Sie drehte ihr Gesicht zum Publikum und machte eine förmliche Verbeugung. Wieso tue ich das? Sie richtete sich wieder auf und breitete die Arme zu einer übertriebenen Geste aus, warf den Kopf in den Nacken. Als sie das tat, zuckten ringsum blaue und grüne Flammen aus der Bühne. Lass dich von nichts überraschen.
    Die dunklen Schwaden zogen immer noch durch ihr Hirn, verflochten sich miteinander, verbanden und teilten sich. Sie lernten dazu. Lichtfunken drängten in die Schwärze vor.
    Das ist alles nicht wahr! Gemma war außer sich. Das konnte sie sich doch unmöglich bieten lassen.
    Sie vernahm eine Stimme und erkannte zu ihrem Entsetzen, dass es ihre eigene war.
    »Jetzt habt Ihr mich gesehen!« rief sie. »Wer möchte diese Kraft beherrschen? Dem Mann, der dies vermag, wird es an nichts mangeln.« Das kann ich unmöglich gesagt haben! Woher kommt das?
    »Die Hexe verlangt nach einem Meister«, verkündete Mendle dramatisch. Als die Worte gesprochen waren, ging Gemma auf die Knie und verneigte sich. Sie fand diese Selbsterniedrigung widerlich, aber ihr Körper tanzte nach der Melodie eines anderen.
    Dann erhob sie sich. Durch die Bewegung begannen die schwarzen Schwaden in ihrem Kopf noch heftiger zu brodeln. Bunte Blitze schossen durch das Dunkel.
    »Sprich, Rose«, wies Mendle sie an. »Erzähl den ehrenwerten Gästen von deinem Können.« Sie zögerte. Er weiß, was ich sagen werde! Ihre Lippen öffneten sich wie von selbst, und in dem winzigen, noch zu vernünftigen Überlegungen fähigen Teil ihres Verstandes kochte die Wut. Woher? Ein Zwischenruf aus der Menge brachte ihre verräterische Zunge zum Schweigen.
    »Spar es dir. Fangt mit dem Bieten an!«
    Allgemeine Zustimmung. Die Menge war ungeduldig. Mendle schnippte mit den Fingern, und Gemmas Bedürfnis, etwas zu sagen, versiegte. Er ließ den Blick über die Menge schweifen. Das selbstzufriedene Grinsen auf seinem Gesicht sprach Bände.
    »Also schön«, sagte er gedehnt und ließ die Worte auf der Zunge zergehen. »Fangen wir an bei -«
    »Eintausend!« rief eine Stimme aus der unsichtbaren Nische im Hintergrund.
    Einen Augenblick lang wirkte Mendle schockiert. Erstauntes und verärgertes Geflüster machte die Runde, als die Leute in der Nähe der Bühne die Hälse reckten, um festzustellen, wer dieses ungeheuerliche Gebot gemacht hatte. Mendle, ganz Profi, fand als erster seine Haltung wieder.
    »Vielen Dank, Sir«, rief er, »doch für ein solch einzigartiges Exemplar dürfte das kaum ausreichend sein. Höre ich elfhundert?« Es folgte vereinzeltes Geflüster, aber keine weiteren Gebote. »Rose, vielleicht könntest du zeigen, wie -«
    Jemand unterbrach ihn.
    »Elfhundert«, rief eine zaghafte Stimme.
    »Zwölfhundert.« Eine tiefere Stimme.
    »Zwölfhundertfünfzig«, rief der erste Bieter, diesmal mit mehr Überzeugung.
    Mendle befand sich in einem Zustand erhöhter Glückseligkeit und zeigte abwechselnd auf die beiden Bieter. Er wollte gerade etwas sagen, als ihm der erste Bieter das Wort abschnitt.
    »Zweitausend.«
    Wieder herrschte vollkommene Stille. Gier kämpfte mit Mendles angeborener Geschäftstüchtigkeit. Der gesunde Menschenverstand sagte ihm, dass dieses Gebot zu gut war, um es zurückzuweisen. Aber vielleicht ließ sich der unter seinen Kunden ausgebrochene Wahn noch weiter melken. Die Gier siegte.
    »Sprich, Rose«, meinte er noch einmal, und Gemma spürte den Zwang, etwas zu sagen ... doch diesmal war es anders.
    Im Verlauf der Auktion hatte Gemma ihren eigenen Kampf ausgefochten. Nach langem Widerstand hatte sie endlich den schwarzen Schwaden nachgegeben,

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