Die Trantüten von Panem
»Aua!«, schreie ich. Eine der LSBienen ist aus dem Nest geschlüpft und hat mich gestochen. Oh, nein. Ich mache mir bereits Sorgen, dass mein Plan fehlschlagen könnte, als ich ein Summen höre und es mich im Nacken sticht. Plötzlich überkommt mich ein Gefühl tiefen Friedens. Ah, das ist besser. Ich weiß, dass man sich nicht von LSBienen stechen lassen sollte, aber es fühlt sich so verdammt gut an.
Die Sonne strahlt heller, die Blumen wirken noch blumiger. Ich blicke zur Erde hinunter und sehe keine Mörder mehr, sondern Freunde. Etwas später spielen ein riesiges Streifenhörnchen und eine gigantische Eichel miteinander.
Ich verspüre das unstillbare Verlangen, alles und jeden zu umarmen. Ich fange mit dem Baum an und arbeite mich langsam zum Boden herab. Erst als ich mit dem Schwanz den Boden berühre, verstehe ich, dass auch ich ein Streifenhörnchen bin. Wieso zum Teufel habe ich noch nie gemerkt, dass ich ein Streifenhörnchen bin?
Meine pelzigen Freunde rasen durch die Gegend und versuchen, die LSBienen mit ihren Schwänzen tot zu klatschen. Außerdem reden sie mit diesen hohen Stimmchen, die so typisch für Streifenhörnchen sind. Ich verstehe ihre Sprache noch nicht, will mich aber so schnell wie möglich mit meinem kulturellen Erbe vertraut machen. Lässig lehne ich mich gegen einen Kieferzapfen und sehe mich um.
Eines der Streifenhörnchen liegt zusammengesunken in der Mitte der Lichtung. Instinktiv sehe ich nach links und nach rechts, ehe ich mich nähere. Nachdem ich mich vorsichtig herangeschlichen habe, bewahrheiten sich meine schlimmsten Befürchtungen: Es wurde überfahren. Welches Auto war das? Und warum musste mein Freund bereits so früh aus dem Leben scheiden? Ich stoße einen lauten Schrei aus, um meiner Seelenqual Ausdruck zu verleihen.
Dann beuge ich mich vor, um seine Schulter mit meinem Schwanz zu streicheln, spüre aber nichts. Mit stockt der Atem, als sich mein Schwanz in Luft auflöst. Alles um mich herum verschwimmt, und ich verstehe, dass es sich nur um eine Halluzination handelte. Als ich wieder vernünftig sehen kann, stehe ich über dem Leichnam des Tributs von Distrikt 7.
Ich höre Schritte. Sie kommen näher. Ich renne davon, gehe hinter einem Busch in Deckung und scheuche dabei eine echte Streifenhörnchenfamilie auf. Ach, die wissen gar nicht, wie gut sie es haben! Ich schleiche einen Schritt weiter, als sich etwas in meinem Knöchel verfängt. Ich habe mich an Pfeilen und einem Bogen verhakt!
»Ein guter Fund«, lobe ich meinen Knöchel.
»Jederzeit, Kantkiss«, erwidert der Knöchel. Vielleicht ist dieses LSBienengift noch nicht völlig abgeklungen.
Ich lege einen Pfeil in den Bogen und schieße genau auf den Boden vor mir, sodass die Kameras mitbekommen, wie super ich bin. Ich will gerade mit einem äußerst verzwickten Rückwärtsschuss einen Apfel auf meinem eigenen Kopf durchbohren, als ich etwas im Augenwinkel bemerke. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich Gerd, der mit einem mörderischen Grinsen wie wild auf seinem Whiteboard herumkritzelt.
Ich weiß von American-Football etwa so viel wie der Blinde von der Farbe. Aber was Gerd da vorhat, sieht wie ein Pyramid-Play aus – ein defensiver Spielzug mit drei Spielern, den die NCAA zum Ende der 1933er Saison verboten hat. Doch ganz gleich, was es ist, es soll ihnen jedenfalls helfen, mich ein für alle Mal loszuwerden. Er will gerade den letzten Zug aufzeichnen, als mir ein wohlbekanntes Teigaroma in die Nase steigt. Wir blicken beide auf.
Pita, der Verräter, eilt zu uns. Na super. Jetzt sind es zwei gegen einen . Immerhin wird so alles schneller vorüber sein. Ich bereite mich innerlich bereits auf den Tod vor, indem ich mir die frische, extra von einem Sponsor geschickte Unterhose anziehe. Aber dann passiert etwas Unglaubliches. Mit Gewalt reißt Pita den Filzstift aus Gerds Hand, malt ein riesiges X über den sorgfältig ausgearbeiteten Spielzug und versucht, die Tafel entzweizubrechen. Diesem Kraftakt nicht gewachsen, begnügt er sich damit, sich einfach daraufzusetzen, sodass sein breites Hinterteil Gerds teuflischen Plan völlig verdeckt.
Ehe ich davonrennen kann, holt Gerd seinen stählernen Football hervor. Er macht eine Finte, weicht einem imaginären Gegenspieler aus und stolpert dabei über Pita. Dadurch landet er hart auf dem Kopf und bleibt regungslos liegen.
»Pita, ich bin noch am Leben!«, kreische ich entzückt. Stille. »Pita, fällt dir denn gar nichts dazu ein?« Wieder Schweigen.
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