Die Traumjoblüge - warum Leidenschaft die Karriere killt
Fragen zu beantworten wäre in einem Angestelltenverhältnis wohl nicht durchgegangen. Doch sie hatte den ihr vorgezeichneten Weg – der sich durch Attribute wie Anteilseigner, Porsche und Magengeschwür auszeichnet – rechtzeitig verlassen. Doch wer weiß, vielleicht können die Porsche fahrenden und unter Magengeschwüren leidenden Firmenanteilseigner ihrem Leben etwas abgewinnen – mehr Spaß dagegen dürfte Lulu haben. | 129 |
Selbstbestimmung ruft Ablehnung hervor
Lulus Geschichte ist ein tolles Beispiel für gelebte Selbstbestimmung. Ihr Lebenslauf ist nicht minder beeindruckend als der von Ryan und Sarah, denn auch sie kann mittlerweile frei entscheiden, was sie wie tut. Und es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit mit Ryan und Sarah: Sie alle haben ihr Ziel erreicht, weil sie – anders als Jane aus Kapitel 9 – immer darauf geachtet haben, dass ihnen genug Karrierekapital zur Verfügung stand, um sich dieses Maß an Selbstbestimmung leisten zu können.
Doch auch wenn Lulu ihre Karriere in zufriedenstellendem Maß selbst lenkte, gab es so manchen Konflikt, als sie sich für ihren Weg in die Selbstbestimmung entschied. Fast jedes Mal, wenn sie ihr Karrierekapital einsetzte, stieß sie auf Widerstand. Als sie nur noch 30 Stunden die Woche arbeiten wollte, konnte ihr Arbeitgeber ihr das zwar nicht abschlagen (schließlich sparte sie ihm eine Menge Geld), aber er war nicht gerade begeistert von dieser Idee. Sich in diesem Punkt durchzusetzen belastete Lulu. Nicht anders erging es ihr, als sie auf einen weiteren Karrieresprung verzichtete und stattdessen bei einem Start-up-Unternehmen anfing. Die Menschen in ihrem Umfeld konnten diesen Schritt einfach nicht verstehen.
»Na ja, du hast damals ja gerade erst ein Haus gekauft«, machte ich ihr klar. »Ausgerechnet dann auf einen sicheren Job in einer großen Firma zu verzichten und stattdessen für ein völlig unbekanntes Kleinunternehmen zu arbeiten war schon ein Risiko.«
»Meine Freunde haben gedacht, ich spinne«, bestätigte sie mir. Diesem Start-up-Unternehmen dann den Rücken zu kehren, nachdem es aufgekauft worden war, war ähnlich schwierig für sie. Lulu wollte nicht in die Details gehen, aber was sie mir mitteilte, war schockierend. Ihr damaliger Chef versuchte mit allen möglichen Taktiken, sie zu halten, da er ganz genau wusste, was für eine tolle und wertvolle Mitarbeiterin sie war. Doch auch als frischgebackene Freiberuflerin stieß sie zunächst auf Schwierigkeiten. Ihr erster Kunde wollte, dass sie Vollzeit für ein größeres Projekt für ihn arbeitete. Doch sie lehnte dankend ab. »Eigentlich suchten sie keinen freiberuflichen Mitarbeiter«, erinnerte sie | 130 | sich. »Aber da sie niemand anderen fanden, der dieses Projekt stemmen konnte, blieb ihnen nichts anderes übrig, als mir den Auftrag zu meinen Konditionen zu geben.«
Ich lernte immer mehr Leute kennen, die es geschafft hatten, ihren Arbeitstag eigenverantwortlich zu gestalten. Viele berichteten, wie sehr dieser Schritt auf Missfallen im Freundes- und Verwandtenkreis gestoßen war. Als Nächstes möchte ich Ihnen von Lewis erzählen. Er arbeitete als Assistenzarzt in der der plastischen Chirurgie, der Medizinsparte, in der der Konkurrenzkampf am heftigsten tobt. Nach drei Jahren als Assistenzarzt hatte er die Bürokratie in der Klinik mehr als satt. Als wir uns in einem Café trafen, schilderte er mir das frustrierende Leben eines jungen Mediziners.
»Eines Tages wurde ein Patient in die Notaufnahme eingeliefert, dem unterwegs bereits der Brustkorb geöffnet worden war, da er eine Stichverletzung am Herzen erlitten hatte. Ich saß also halb auf ihm und massierte sein Herz mit bloßen Händen, während er in den Operationssaal gebracht wurde. Der Patient brauchte sofort eine Blutkonserve, schließlich hatte er ein Loch im Herzen. ›Wo bleibt das Blut?‹, fragte ich.
›Wir können ihm kein Blut geben‹, wurde mir mitgeteilt. ›Sie haben das Aufnahmeformular nicht ausgefüllt, als Sie in die Notaufnahme kamen.‹ Das Herz dieses Patienten lag buchstäblich in meinen Händen, als wir dort ankamen, und mein einziger Gedanke war: ›Das kann doch nicht euer Ernst sein!‹«
Der Patient verstarb noch auf dem Operationstisch. Vermutlich wäre er auch trotz einer Bluttransfusion gestorben, aber dieses Erlebnis erschütterte Lewis. Von wegen eigene Entscheidungen als behandelnder Arzt treffen! Nein, so konnte es für ihn nicht weitergehen. Er wollte selbstbestimmt handeln können
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