Die Treibjagd
der Frühlingssonne entfaltete.
Wenn die Mode sie zwang, Paris zu verlassen, begaben sie sich in ein Seebad, voll Bedauern einen Vergleich zwischen dem Gestade des Meeres und den Trottoirs des Boulevards ziehend. Selbst ihre Liebe langweilte sich dort. Diese war eine Treibhausblüthe, welche des großen Bettes in Grau und Rosa nicht entbehren konnte, ebensowenig wie des fleischfarbenen Zeltes und der goldenen Morgenröthe des kleinen Salons. Seitdem sie sich des Abends allein am Meeresufer befanden, hatten sie einander nichts zu sagen. Sie versuchte die übermüthigen Lieder aus dem Variétés-Theater auf einem alten, wackeligen Pianino zu spielen, welches in ihrem Hôtelzimmer schlummerte; das von der feuchten Seeluft gänzlich ruinirte Instrument aber gab nur klägliche Töne von sich, so daß die Couplets aus der »Schönen Helena« sich wie Trauermärsche anhörten. Um sich selbst zu trösten, setzte die junge Frau durch ihre phantastischen Kostüme das ganze Gestade in Erstaunen. Sämmtliche Damen, die hier anwesend waren, gähnten, langweilten sich, sehnten den Winter herbei und suchten mit verzweiflungsvoller Hast nach einem Badekostüm, welches sie nicht zu sehr verunstaltete. Niemals vermochte Renée Maxime dazu zu bewegen, daß er ein Bad nehme. Er fürchtete sich geradezu entsetzlich vor dem Wasser, wurde ganz bleich, wenn dasselbe seinen Fuß benetzte und hätte sich um nichts in der Welt dem Ufer genähert. Er machte weite Umwege, um einem Tümpel, einer etwas steilen Uferstelle auszuweichen.
Saccard fand sich zwei- oder dreimal ein, um nach »den Kindern« zu sehen. Er sagte, daß ihn die Sorgen zu Boden drückten. Erst Ende Oktober, als alle Drei nach Paris zurückgekehrt waren, dachte er ernstlich daran, sich seiner Frau zu nähern. Die Charonner Angelegenheit wurde immer reifer. Sein Plan war ebenso einfach als brutal. Er rechnete darauf, daß er sich Renée's auf dieselbe Weise wie einer Dirne bemächtigen werde. Ihre Geldverlegenheiten wurden immer drückendere und aus Stolz wendete sie sich an ihren Gatten nur, wenn die Noth zum Höchsten gestiegen war. Saccard nahm sich nun vor, ihr nächstes Anliegen sich zu Nutze zu machen, um galant zu sein und in der Freude über eine bedeutende Schuld, die er bezahlen wollte, die längst gelockerten ehelichen Bande wieder fester zu knüpfen.
Die ärgsten Verlegenheiten harrten Renée's und Maxime's in Paris. Mehrere der Wechsel, welche man Larsonneau gegeben, waren fällig geworden; da Saccard dieselben aber friedlich bei dem Gerichtsvollzieher ruhen ließ, so ward die junge Frau nur wenig davon beunruhigt. Viel mehr erschreckte sie ihre Schuld bei Worms, die sich gegenwärtig auf beiläufig zweihunderttausend Francs belief. Der Schneider forderte eine größere Abschlagszahlung, widrigenfalls er jeden weiteren Credit zu verweigern drohte. Sie erschauerte, wenn sie an den Skandal eines Prozesses und insbesondere an die Möglichkeit eines Bruches mit dem berühmten Kleiderkünstler dachte. Außerdem bedurfte sie Taschengeldes. Sie und Maxime kamen fast um vor Langeweile, wenn sie nicht täglich ein paar Louis zu verausgaben hatten. Das geliebte Kind befand sich auf dem Trockenen, seitdem es die Schubfächer seines Vaters vergebens durchsuchte. Seine Treue, seine musterhafte Aufführung während sieben oder acht Monate hatte ihren eigentlichen Grund in der absoluten Leere seiner Börse. Er verfügte nicht immer über die zwanzig Francs, deren er bedurfte, um ein gelegentlich getroffenes Dämchen zum Souper zu laden und so kam er denn zumeist hübsch solid nach Hause. Bei jedem Ausfluge, den sie mit einander unternahmen, übergab ihm die junge Frau ihre Börse, damit er in den Restaurants, auf den Bällen, in den kleinen Theatern die beiderseitigen Kosten bezahle. Sie behandelte ihn nach wie vor gewissermaßen mütterlich und sie bezahlte sogar bei dem Konditor, zu dem sie sich jeden Nachmittag begaben, um kleine Austernpasteten zu verzehren. Häufig fand er des Morgens in seiner Westentasche einige Louisd'ors, von deren Vorhandensein er keine Kenntniß gehabt und die sie dorthin praktizirt hatte, gleichwie eine Mutter die Börse eines Schulknaben füllt. Und nun sollte diese schöne Zeit der Imbiße, befriedigten Launen und leichten Vergnügungen mit einem Male ein Ende nehmen! Hierzu gesellte sich noch eine größere Angst. Der Juwelenhändler Sylvia's, dem er zehntausend Francs schuldig war, verlor die Geduld und sprach davon, eine Klage anzustrengen, ihn
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