Die Treibjagd
kühner und allmälig so zudringlich, daß Renée ein wenig erschrack, den Kopf verlor und durch die Rue de Faubourg-Poissonniere eilend, sich in den Laden der Schwester ihres Gatten flüchtete. Der junge Mann trat hinter ihr ein. Frau Sidonie lächelte, schien zu verstehen und ließ sie allein. Doch als ihr Renée folgen wollte, hielt der Unbekannte sie zurück, begann höflich, doch erregt zu sprechen und erlangte ihre Verzeihung. Der Mann war in irgend einem Amte angestellt, nannte sich Georg und sie fragte ihn niemals nach seinem Familiennamen. Zweimal fand sie sich ein, um mit ihm zusammenzukommen, wobei sie durch den Laden, er durch die Rue Papillon eintrat. Diese zufällige Liebe, die sich auf der Straße angeboten und ebendort angenommen worden, bereitete ihr ein lebhaftes Vergnügen. Sie erinnerte sich stets mit einiger Scham, aber auch mit einem Lächeln des Bedauerns an dasselbe. Frau Sidonie aber zog den Nutzen aus dem Abenteuer, daß sie endlich die Mitschuldige der Frau ihres Bruders wurde, eine Rolle, nach der sie sich seit dem Tage der Vermählung gesehnt.
Die arme Frau Sidonie hatte sich gewissermaßen verrechnet. Indem sie an dem Zustandekommen dieser Verbindung arbeitete, hatte sie gehofft, sozusagen auch für ihre Person Renée zu heirathen, an dieser eine Klientin zu bekommen und eine Menge kleiner Vortheile aus ihr zu ziehen. Sie beurtheilte die Frau auf den ersten Blick, gleichwie ein Kenner ein Pferd beurtheilt. Ihre Bestürzung war daher keine geringe, als sie, nachdem sie den jungen Eheleuten einen Monat gegönnt, um sich ein wenig einzurichten, sich sagen mußte, daß sie zu spät gekommen, denn als sie wieder vorsprach, sah sie im Salon Frau von Lauwerens thronen. Diese, eine schöne Frau von sechsundzwanzig Jahren, hatte den Beruf, Neulinge in die Geheimnisse des gesellschaftlichen Lebens einzuführen. Sie gehörte einer sehr alten Familie an und war mit einem hochgestellten Finanzmanne verheirathet, der die Thorheit beging, die Bezahlung der Schneider- und Putzmacherrechnungen zu verweigern. Die Dame, die ebenso intelligent wie liebenswürdig war, sorgte nun selbst für sich. Sie verabscheute die Männer, wie sie Jedem versicherte, der es hören wollte; dagegen verschaffte sie all' ihren Freundinen welche, und stets fand sich eine vollständige Auswahl in den Gemächern, welche sie in der Rue de Provence, oberhalb der Bureaux ihres Gatten innehatte. Man nahm daselbst kleine schmackhafte Imbiße ein und kam auf ebenso unerwartete als reizende Weise zusammen. Es hatte gar nichts Anstößiges an sich, wenn ein junges Mädchen ihre liebe Frau von Lauwerens besuchte und es war sicherlich nur der reine Zufall, wenn auch Herren zugegen waren, die sich im Uebrigen eines tadellosen Benehmens befleißigten und den besten Kreisen angehörten. Die Hausfrau selbst nahm sich reizend aus in ihren großen weißen Spitzenkleidern, so daß ihr so mancher Besucher den Vorzug vor ihrer Sammlung blonder und brünetter Schönheiten gegeben hätte. Doch die Chronik versichert, daß sie von absoluter Enthaltsamkeit war. Hierin lag das ganze Geheimniß des Geschäftes. Sie behauptete ihre hohe Stellung in der Gesellschaft, hatte alle Männer zu ihren Freunden, bewahrte ihren Stolz als ehrbare Frau und erfreute sich insgeheim daran, die anderen Frauen zu Falle zu bringen und hieraus sogar Nutzen zu ziehen. Als sich Frau Sidonie über den Mechanismus der neuen Erfindung klar geworden, war sie niedergeschmettert. Die Frau in dem alten schwarzen Kleide, die die Liebesbriefe in ihrem Körbchen beförderte, vertrat die alte, die klassische Schule, die sich jetzt der modernen Schule gegenübergestellt sah, dieser großen Dame, die ihre Freundinen in ihrem Boudoir bei einer Tasse Thee verkauft. Und die moderne Schule triumphirte. Frau von Lauwerens hatte nur einen kalten Blick für die zerknitterte Toilette der Frau Sidonie, in der sie eine Rivalin witterte. Thatsächlich war es ihre Hand, aus welcher Renée ihren ersten Liebhaber, den jungen Herzog von Rozan empfing, welchen die schöne Vermittlerin nur sehr schwer unterzubringen vermochte. Erst später gewann die klassische Schule wieder die Oberhand, als Frau Sidonie ihr Halbgeschoß der flüchtigen Neigung ihrer Schwägerin für den Unbekannten vom Quai Saint-Paul zur Verfügung stellte. Und von da an blieb sie auch ihre Vertraute.
Einer der Getreuen der Frau Sidonie war Maxime. Noch nicht fünfzehn Jahre alt trieb er sich bereits bei seiner Tante umher, um an den
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