Die Treibjagd
holen, weil sie auf der Nase des »Krebses« ein Haar glaubte wahrgenommen zu haben. Und thatsächlich zeigte ihr die Lupe ein goldenes Härchen, welches von den Augenbrauen herrühren mochte. Dieses Härchen bot ihnen lange Zeit Stoff zum Lachen. Während einer ganzen Woche mußten die Damen, die zu Besuch kamen, sich durch den Augenschein von dem Vorhandensein dieses Härchens überzeugen. Von da an diente die Lupe dazu, die Gesichter der Damen auf das Sorgfältigste zu untersuchen. Hierbei machte Renée überraschende Entdeckungen; sie fand unbekannte Runzeln, rauhe Haut und Lücken in derselben, welche das Reispulver nur ungenügend verbarg. Schließlich ließ Maxime die Lupe verschwinden, indem er erklärte, er wollte das weibliche Gesicht nicht auf solche Weise verunglimpfen lassen, in Wahrheit aber, weil Renée die dicken Lippen Sylvia's, für die er eine besondere Vorliebe empfand, einer zu strengen Kritik unterzog. Dafür wurde ein neues Spiel ersonnen. Sie stellten die Frage auf: »Mit wem möchte ich am liebsten eine Nacht verbringen?« und schlugen das Album auf, welches ihnen die Antwort brachte. Dieses Spiel führte die ergötzlichsten Verwickelungen herbei. Während einiger Abende nahmen die Freundinen gleichfalls Theil daran. So wurde Renée nacheinander mit dem Erzbischof von Paris, mit dem Baron Gouraud und dem Grafen Chibray vermählt, was allgemeines Gelächter erregte, mitunter auch mit ihrem Gatten, was sie ganz zornig machte. Was Maxime betraf, so fiel ihm – entweder aus Zufall oder aus Renée's Bosheit – stets die Marquise zu. Doch wurde nie so herzlich gelacht, als wenn der Zufall zwei Männer oder zwei Frauen zusammenführte. Die Kameradschaft zwischen Renée und Maxime ging so weit, daß sie ihm sogar das Leid ihres Herzens klagte. Er tröstete sie und ertheilte ihr Rathschläge. Sein Vater schien gar nicht zu existiren. Dann theilten sie sich Begebenheiten aus ihrer Jugendzeit mit. Insbesondere wurden sie auf ihren Fahrten durch das Bois von einer unbestimmten Sehnsucht erfaßt, sich gegenseitig Dinge zu erzählen, die man nur schwer oder gar nicht sagen kann. Jene Freude, welche Kinder empfinden, wenn sie ganz leise über verbotene Dinge sprechen können, jener Reiz, der für einen jungen Mann und eine junge Frau darin liegt, mit einander in das Laster hinabsteigen zu können, wenn auch nur mit Worten, brachte sie unablässig auf anstößige Dinge zu sprechen. Sie genossen hiedurch eine Wollust, über welche sie sich keinen Vorwurf zu machen hatten, an welcher sie sich erfreuten, während sie gemächlich in den beiden Ecken des Wagens lagen, gleich zwei Schulfreunden, die über ihre ersten muthwilligen Streiche plaudern. Schließlich prahlten sie sogar mit ihrer Unsittlichkeit. Renée gestand, daß die kleinen Mädchen im Pensionat sehr schlau und durchtrieben seien. Maxime that erstaunt und wagte es, ihr einige der skandalösen Geschichten zu erzählen, die sich im Colleg zu Plassans zugetragen.
»Ach! ich kann es gar nicht sagen ...« murmelte Renée.
Darauf neigte sie sich an sein Ohr, als hätte schon der Ton ihrer Stimme genügt, um sie erröthen zu machen und flüsterte ihm eine jener Klostergeschichten zu, wie sie in unfläthigen Gassenhauern besungen werden. Er besaß zu diesen Dingen eine zu reiche Auswahl, als daß er ihr etwas schuldig geblieben wäre. Dicht an ihr Ohr geneigt, sang er leisen Tones irgend ein gemeines Couplet. So geriethen sie allmälig in einen Zustand absonderlicher Mattigkeit, umschmeichelt von all' diesen sinnlichen Gedanken, die sie hegten, angenehm gekitzelt von den sich leise regenden Wünschen, die sich nicht in Worte kleiden ließen. Sanft rollte der Wagen dahin und wenn sie heimkehrten, empfanden sie eine köstliche Mattigkeit, eine größere Erschöpfung als am Morgen einer Liebesnacht. Sie hatten Schlechtes gethan, gleich zwei schulschwänzenden Knaben, die, weil sie keine Mädchen finden, sich mit ihren gegenseitigen Erinnerungen begnügen.
Eine noch größere Vertraulichkeit herrschte aber zwischen Vater und Sohn. Saccard war sich darüber klar geworden, daß ein großer Finanzmann die Frauen lieben und einige Thorheiten für dieselben begehen müsse. Seine Liebe war brutal, denn er zog das Gold vor; doch sein Programm erheischte es, daß er sich in den Alkoven herumtrieb, einige Banknoten aus gewissen Kaminplatten zurückließ und von Zeit zu Zeit irgend eine hervorragende Vertreterin der Halbwelt als Aushängeschild seiner Spekulationen
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