Macabros Neu 01 - Der Leichenorden von Itaron
»Dreh dich um, Anna«, sagte Michael Bornier mit heiserer Stimme. Seine Augen glühten … Anna Huber gehorchte. Seit drei Jahren arbeitete sie jetzt schon als Aktmodell. Aber so ein merkwürdiger Kunde wie Michael Bornier war ihr noch nicht untergekommen.
Wie besessen zog er den Pinsel über die Leinwand.
»Können wir nicht eine Pause machen, Michael? Ich habe Durst …«
Aber Bornier hörte ihr gar nicht zu. Sein Atem ging pfeifend, und sein Blick blieb fest auf die Leinwand geheftet.
»Was für ein Motiv!«, murmelte er. »Ja, Rha-Ta-N’my – Dieses Bild wird dir gefallen …«
Anna stutzte. Wie hatte Bornier sie gerade genannt? Rha-Ta… Der Name erschien ihr unaussprechlich, trotzdem fühlte sie instinktiv, dass er eine besondere Bedeutung besaß. Eine Gänsehaut rann ihr über den Rücken. Sie musterte Bornier, der ihr keinen Blick schenkte. Er beachtete sie überhaupt nicht, obwohl sie doch sein Modell war.
»Michael …!«
Er hatte sie gleich am frühen Morgen gebeten, ihn beim Vornamen zu nennen. Das waren allerdings die einzigen persönlichen Worte aus seinem Mund geblieben. Danach hatte er sie in das Atelier geführt, das sich im Südturm des riesigen Schlosses befand, in dem Bornier ganz allein und zurückgezogen lebte. Es gab nicht einmal Personal. Anna fragte sich, wie Bornier das alte Gebäude überhaupt instand hielt. Alles wirkte sauber und gepflegt, nirgendwo lag Staub auf den schweren Brokatvorhängen …
Aber wenigstens eine Küche musste es doch geben, in der sie etwas trinken konnte. Anna hatte den ganzen Tag über nichts zu sich genommen. Sie fühlte sich matt und zerschlagen. Sie brauchte dringend eine Pause.
»Michael!«
»Was?« Er schien wie aus einem Traum zu erwachen.
»Ich habe Durst. Hast du vielleicht eine Limo in der Küche? Ich kann sie mir auch selber holen.«
»Nein, nein …« Der Maler löste langsam den Blick von der Leinwand. »Ich gehe schon.«
Anna zuckte die Achseln. Bitte, wenn er unbedingt wollte. Sie beobachtete, wie Bornier zur Tür eilte. Jede seiner Bewegungen war hektisch. Um seine Lippen spielte ein nervöses Lächeln. »Rha-Ta-N’my …«, seufzte er.
»Wer ist das?«
Bornier blieb stehen. »Was?«
»Der Name. Diese Rhata-Irgendwas, von der du dauernd sprichst.«
»Das ist niemand!«, sagte er rasch und presste die Lippen zusammen.
»O là là«, sagte Anna lächelnd. »Ich wette, es ist eine Frau – und eine hübsche noch dazu. Etwa so hübsch wie ich?« Sie drehte sich vollständig herum, sodass sie ihm ihre Brüste präsentierte. Für Anna war es nichts Besonderes, sich einem Mann nackt zu zeigen. Sie wusste ihre Reize einzusetzen.
Aber Bornier reagierte überhaupt nicht darauf. Sein Blick richtete sich wieder auf das Bild, an dem er die letzten Tage gearbeitet hatte.
»He!«, rief Anna empört. »Hast du schon vergessen, dass du mir was zu trinken holen wolltest?«
Wie unter großem Widerstand löste Bornier sich langsam aus seiner Erstarrung und griff nach der Türklinke. Er nickte fahrig. »Ich bin gleich wieder da. Aber du musst mir etwas versprechen, Anna.«
»Was immer du willst, Michael.«
»Du musst genau dort stehen bleiben, wo du jetzt bist. Du darfst das Bild nicht zu Gesicht bekommen. Nicht bevor es fertig ist …«
Sie lachte. »Du willst es wohl spannend machen, wie? Na, meinetwegen.«
Bornier warf ihr einen unergründlichen Blick zu und verließ den Raum. Anna zuckte zusammen, als die schwere Tür hinter ihm ins Schloss fiel.
Sie vernahm, wie sich Borniers Schritte entfernten. Die plötzliche Stille schien sie fast zu erdrücken. Sie fühlte sich auf einmal seltsam unwohl. Erst jetzt fiel ihr auf, wie kalt es in dem Schloss war. Bornier hatte sich ihr gegenüber sehr großzügig gezeigt und sie für mehrere Tage im Voraus bezahlt. Das war einer der Gründe gewesen, weshalb sie den Job überhaupt angenommen hatte. Ob ihm jetzt wohl das Geld fehlte, um seine Heizungsrechnung zu bezahlen?
An der Türseite des Ateliers befand sich ein alter Kamin, dessen Rauchabzug in die Wand eingelassen war. Die Schamottesteine über der Feuerstelle waren schwarz vor Ruß, aber das Innere des Kamins war sauber – so, als hätte hier seit Jahren kein Feuer mehr gebrannt.
Natürlich nicht. In einem Atelier bedeutete ein offenes Feuer ein viel zu großes Risiko.
Die Fensterfront, die dem Kamin gegenüberlag, glänzte sauber. Keine Schliere auf dem blitzenden Glas. Draußen lag die unbewohnte Berglandschaft, durch die Anna nur aufgrund
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