Die Treue Des Highlanders
Zeit vergangen ist, müssen Sie die Tat anzeigen, damit dafür gesorgt werden kann, die Täter zur Verantwortung zu ziehen.«
Anna schüttelte den Kopf, und Ruth wunderte sich, dass sie dabei laut lachte. »Liebe Ruth, ich sagte eingangs schon, so einfach ist meine Geschichte nicht. Inzwischen weiß ich, dass der Mann gar nicht getötet, sondern nur schwer verletzt worden ist. Eine Anzeige hat wenig Sinn, denn die Tat ist ...«, Anna stockte und sah Ruth eindringlich in die Augen, »... vor über vierhundert Jahren geschehen.«
»Aha.« Mehr fiel Ruth dazu nicht ein. Sie hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit dieser Erklärung.
Ruhig sagte Anna: »Sie haben gesagt, dass ich Vertrauen zu Ihnen haben kann, egal, um was es sich handelt. Ich bitte Sie nun um dieses Vertrauen und um das Versprechen, dass Sie, egal, was Sie gleich erfahren werden, mich nicht auf der Stelle in die Psychiatrie einweisen lassen werden.«
Ruth nickte und forderte Anna auf zu erzählen, und Anna begann mit der ersten Begegnung mit Duncan, als er in die Hütte am Glen-Mal-Loch gestolpert kam.
Sie redete Stunde um Stunde, und sie waren längst die letzten Gäste, als der kleine, dickliche italienische Wirt mit einem demonstrativen Gähnen am Tresen lehnte. Er liebte seine Gäste und war gerne für sie da, aber um zwei Uhr in der Nacht musste einmal Schluss sein!
Als Anna mit den Worten: »Dann fand ich vor drei Tagen den Hinweis, dass Duncan erst später hingerichtet worden war und nicht an dem Tag am See starb«, endete, fragte Ruth zusammenhangslos: »Haben Sie schon eine Bleibe für den Rest der Nacht?« Als Anna verneinte und meinte, sie wäre direkt vom Bahnhof zu Ruth gekommen, fuhr sie fort: »Ich habe eine recht bequeme Schlafcouch im Wohnzimmer. Wenn Sie mich begleiten möchten?«
Anna nahm das Angebot gerne an, worüber Ruth erleichtert war. Auf keinen Fall wollte sie Anna alleine lassen, zu groß war das Risiko, dass sie wieder verschwand, bevor Ruth die Hintergründe ihrer fantastischen Erzählung ergründet hatte.
Die psychische Belastung der letzten Tage forderte ihren Tribut, und Anna schlief unmittelbar, nachdem sie sich auf die Couch gelegt hatte, ein. Ruth lag allerdings noch lange wach und grübelte, wie sie Anna würde helfen können.
Am nächsten Morgen führte Ruth einige Telefonate, während Anna ein ausgiebiges Bad nahm. Sie rief auf der Polizeistation an und bat um Verlegung all ihrer Termine der nächsten Tage, und sie sagte ihren Privatpatienten ab. Natürlich glaubte Ruth keinen Moment an Annas Geschichte. Sie glaubte auch nicht, dass Anna verrückt oder gar schizophren war, auch wenn alles für eine solche Krankheit sprach. Ruth war nach wie vor davon überzeugt, dass Anna etwas derart Schreckliches widerfahren sein musste, dass sie sich in diese Phantasiewelt flüchtete und selbst daran glaubte. Ruth war ein solches Verhalten nicht fremd, und da sie Sympathie für Anna empfand, beschloss sie, alles zu tun, ihr zu helfen.
Anna überraschte Ruth mit ihrer Ankündigung, sie wäre fest entschlossen, erneut in die Vergangenheit zu reisen, um Duncan und seine Familie vor dem Untergang zu retten.
»Sie sind also davon überzeugt, dass es Ihnen gelingt,
vor
dem Tag, an dem Sie verfolgt worden sind, wieder in der Vergangenheit anzukommen, um die Ereignisse zu verändern?« Ruth hatte beschlossen, so zu tun, als würde sie Anna die Geschichte glauben. Im Moment war ein Versuch, Anna vom Gegenteil zu überzeugen, sinnlos, und Ruth hätte nur das Vertrauen Annas verloren, wenn sie nicht ganz auf sie einging. Allerdings bereitete Annas Vorhaben einer erneuten Zeitreise Ruth Kopfzerbrechen. Wenn sie tatsächlich in den See sprang, dann konnte das ihren Tod bedeuten, und auf keinen Fall würde sie Anna in den Selbstmord laufen lassen.
»Ich muss es versuchen, Ruth«, sagte Anna ernst. »Ich
muss
es ganz einfach tun, denn sonst würde ich mein ganzes restliches Leben damit verbringen, mir Vorwürfe zu machen, nicht alles getan zu haben, was in meiner Macht stand. Vielleicht gelingt es mir auch, das Leben von June beziehungsweise Amanda Cameron zu retten. Ruth, ich sagte, dass ich vermutete, das Mädchen starb an einer Lungenentzündung. Könnte ich nicht ein Medikament mitnehmen, das die Krankheit heilen würde?«
Ruths Gedanken schlugen Purzelbäume. Sie meinte es wirklich und wahrhaftig ernst! »Nun, es gibt verschiedene Arten von Lungenentzündung«, sagte sie zögernd. »Man müsste schon den genauen Erreger kennen, um eine
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