Die Treue Des Highlanders
sie sich seufzend, drehte den Schlüssel im Schloss und öffnete die Tür. Wer immer es sein mochte – er musste bis morgen warten.
»Sie?« Ruth erkannte Anna sofort.
»Guten Abend, Mrs. Jefferson. Sie haben mir Ihre Hilfe angeboten, und jetzt bin ich gekommen, um diese in Anspruch zu nehmen«, sagte Anna ruhig.
Ruth musterte sie erstaunt. Die sonst so attraktive und perfekt gestylte Anna Wheeler sah müde und erschöpft aus. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen.
Als hätte Anna ihre Gedanken gelesen, fuhr sie fort: »Ich habe seit drei Tagen kaum geschlafen und bin heute Morgen mit dem Zug aus London gekommen.«
Ruth war kurz davor, mit Anna für den nächsten Tag einen Termin zu vereinbaren, aber sie spürte, wie wichtig für die Frau ein sofortiges Gespräch war. Ruth hatte ihr geheimnisvolles Schicksal nicht vergessen, und sie war gespannt, was Anna ihr zu sagen hatte. Adieu, Schaumbad, dachte Ruth, aber wenigstens auf die Pizza wollte sie nicht verzichten. »Haben Sie schon zu Abend gegessen?«, fragte sie. Anna schüttelte den Kopf. »Ich wollte gerade Feierabend machen und kenne einen guten Italiener zwei Straßen weiter. Möchten Sie mich begleiten?«
Anna nickte und wenig später saßen sich die beiden Frauen in einer abgeschirmten Nische in dem Lokal gegenüber. Während sich Ruth die Pizza mit extra viel Thunfisch schmecken ließ, stocherte Anna nur lustlos in ihren Spaghetti Funghi. Ruth griff über den Tisch und drückte Annas Hand. »Möchten Sie darüber sprechen, was nach Ihrem Verschwinden geschehen ist?«
Anna zögerte, dann gab sie sich einen Ruck. »Deswegen bin ich gekommen, Ruth. Ich darf Sie doch Ruth nennen, ja? Bitte, sagen Sie Anna zu mir. Im Krankenhaus haben Sie mir gesagt, dass Sie für alles Verständnis haben. Das werden Sie jetzt aufbringen müssen, denn ich werde Ihnen eine seltsame Geschichte erzählen. Zumindest wird sie in Ihren Ohren unglaubhaft klingen.«
Ruth schob den letzten Bissen Pizza in den Mund, spülte ihn mit einem Schluck Wein hinunter und lehnte sich entspannt zurück. Ihre Müdigkeit war verflogen, denn sie war gespannt, was die Schauspielerin zu sagen hatte. »Ich bin ganz Ohr!«
»In der Zeit meines Verschwindens war ich bei einem anderen Mann«, sagte Anna schlicht.
»Ich verstehe«, antwortete Ruth. »Dieser Mann hat sie entführt und in seiner Gewalt behalten, darum konnten Sie nicht früher darüber sprechen, nicht wahr?«
Anna schüttelte den Kopf. »Tatsächlich bin ich dem Mann zuerst nicht freiwillig gefolgt. Es war vielmehr ein ... unglücklicher Zufall, aber dann habe ich mich in ihn verliebt, und er erwiderte meine Gefühle. Wir wollten heiraten ...« Annas Stimme brach bei der Erinnerung an den Tag, der der glücklichste ihres Lebens werden sollte und an dem dann alles ganz anders gekommen war.
»Da Sie jedoch als Person des öffentlichen Lebens, was Sie als Schauspielerin ohne Zweifel sind, einen Skandal vermeiden wollten, sind Sie einfach sang- und klanglos verschwunden?«, fragte Ruth erstaunt. »Ich weiß, dass Sie und der Produzent ein Paar waren, aber Trennungen im Showbusiness sind doch an der Tagesordnung. Niemand hätte Sie dafür verurteilt, wenn Sie sich einem anderen Mann zuwenden.«
Mit einem traurigen Lächeln zerknüllte Anna die Serviette in ihren Händen. »So einfach ist es nicht. Sie werden sich auch fragen, warum ich nicht bei dem Mann geblieben bin.« Ruth nickte und sah Anna erwartungsvoll an. »Nun, ich sagte, wir
wollten
heiraten, aber am Tag unserer Hochzeit wurde er vor meinen Augen ermordet. Jedenfalls dachte ich bis vor wenigen Tagen, dass er tot sei.«
»Anna!« Ruth fuhr in die Höhe. Andere Gäste drehten sich nach ihnen um. Schnell senkte sie ihre Stimme, griff erneut nach Annas Hand und hielt sie ganz fest. Das erklärte vieles. Der Schock, den Tod eines Menschen, besonders den eines geliebten Menschen, mit anzusehen, hatte Anna daran gehindert, über die Tat zu sprechen. Ihre Psyche hatte die Ereignisse verdrängt, ganz so, als wären sie niemals geschehen. Doch irgendwann kam es zu einem Schlüsselerlebnis, das die Verdrängung aufhob und die Erinnerung kam mit aller Macht wieder. Offenbar war das nun bei Anna geschehen. »Waren Sie schon bei der Polizei?«, fragte Ruth leise.
»Warum sollte ich zur Polizei gehen?«
Ruth wunderte sich über diese Naivität, denn sie hatte Anna bisher als bodenständige und realistische Frau eingeschätzt. »Sie haben den Mord an Ihrem Freund beobachtet! Auch wenn seitdem einige
Weitere Kostenlose Bücher