Die Tuchhaendlerin von Koeln Roman
ich im Winter abermals eine Fehlgeburt erlitten hatte - ein erneuter schwerer Verlust -, war ich nun wiederum schwanger und ganz und gar nicht bereit, das Leben dieses sehnlich erwünschten Kindes durch eine Reise zu gefährden. Mein Heinrich reiste also allein und warf mir beim Abschied einen recht unglücklichen Blick zu.
Nur zu gern hätte ich gewußt, was sich in Mainz abspielte, aber es kamen keine Boten. Mein Vater, sprunghaft und seit jeher ein Mann der plötzlichen Entscheidungen, kam auf die Idee, nach England zu reisen - mit mir. Meine Bedenken wegen der Schwangerschaft wedelte er mit einer Handbewegung fort.
›Es ist ja nicht weit bis zur Küste, du wirst in einer Sänfte dorthin getragen. Und vor der kurzen Schiffahrt wirst du ja wohl keine Angst haben, oder?‹
Als ich noch zögerte, fügte er listig hinzu:
›Deine Mutter wäre sicher sehr enttäuscht, wenn du nicht kämst.‹
Das wirkte sofort. Ich sehnte mich so sehr nach meiner Mutter! Also ging ich mit ihm an Bord, erlebte leider eine sehr stürmische Überfahrt, bei der ich mich immer wieder übergeben mußte, und ging bleich und zitternd in Dover an Land. Vater wollte mir einen Ruhetag gönnen, aber ich konnte nun nicht mehr warten. Also wurde ich wieder in eine Sänfte gepackt, ich, die ich immer so stolz auf meine Reitkünste gewesen bin! Bald war ich in Winchester, wo meine Mutter als Gefangene lebte. Sprachlos sanken wir uns
in die Arme und hielten uns eine lange Zeit ganz, ganz fest. Wir hatten uns vor sechzehn Jahren das letzte Mal gesehen. Als sie mich damals verabschiedete, war sie eine vielbewunderte Königin und souveräne Herrscherin ihres geliebten Aquitaniens gewesen, und ich die Braut eines Kaiserenkels. Nun waren wir beide tief herabgestürzt und fast unbeachtet. Aber das scherte uns in diesem Augenblick überhaupt nicht, so groß war das Glück des Wiedersehens.
Meine Mutter ist übrigens ganz genau unterrichtet über das, was meiner Familie zugestoßen ist. Auch über die politischen Entwicklungen in der Welt, die einst die ihre gewesen ist, weiß sie bestens Bescheid. Wie sie das macht? Nun, sie bekommt ständig Briefe, nicht nur von ihren Kindern, sondern von zahlreichen Getreuen, die sie ein Leben lang verehrt haben, von Grafen und Bischöfen, die ihr untertan gewesen sind und sie noch immer als ihre Herrscherin ansehen, mag sie auch gefangen in Winchester sitzen.
Ich habe noch immer meine Freiheit, ich habe die Liebe meines Mannes, ich darf mich an der Gegenwart meiner Kinder freuen - abgesehen von meinem kleinen Lothar. Außerdem bin ich noch jung, es kann sich noch viel für mich ändern.
Und meine Mutter? Das alles besitzt sie nicht mehr; aber sie hält sich aufrecht, sie pflegt und kleidet sich sorgfältig, zeigt ein heiteres Gesicht. Und sie liest nicht nur ihre vielen Briefe, sondern auch die Heilige Schrift, die Psalter, die Werke des Aristoteles. Sie hat noch immer ein Arbeitszimmer, wenn sie dort auch nicht mehr Befehle ausgibt, und dort liegen ständig ganze Stöße von Büchern.
Und sie ist noch immer eine so schöne Frau!
Ich liebe und bewundere meine Mutter aus tiefstem Herzen. Ihrem Beispiel will ich nacheifern, so gut ich kann.
Mein Vater hatte mich übrigens nicht nach Winchester begleitet. Er kam erst einen Monat später, und zwar zusammen mit meinem Mann. Es schnitt mir ins Herz, als ich meinen Löwen sah. Ich erkannte sofort, daß er eine tiefe Demütigung erfahren hatte, so erloschen war der Glanz seiner Augen, so fahl sein Gesicht. Dennoch war die ehrerbietige Verneigung tadellos, mit der er meine Mutter grüßte - die er übrigens zum erstenmal in seinem Leben sah. Und als er mich in die Arme schloß, atmete er so tief auf wie ein Mensch, der fast bis zum Ersticken unter Wasser war und dann doch an die Oberfläche gelangen und die süße Luft des Lebens wieder in seine Lunge füllen darf.
Es gelang ihm, den ganzen Nachmittag liebenswürdig mit meinen Eltern zu plaudern, mit seinen Kindern zu spielen, die nicht von seiner Seite zu reißen waren, und mir, seiner Frau, verstohlene Blicke zuzuwerfen, die ich nicht zu deuten wußte, aber mit strahlendem Lächeln erwiderte.
Erst in der Nacht, als er mir in unser Schlafgemach folgte, wollte er zum Reden ansetzen, aber ich legte ihm den Finger auf die Lippen, schmiegte mich an ihn und sagte leise: ›Jetzt noch nicht, Liebster. Komm erst einmal in meine Arme, damit du weißt, wo du zu Hause bist.‹ Ich legte keinen Wert darauf, ihn daran zu
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