Die Tuchhaendlerin von Koeln
fragte sie mich.
»Er brennt darauf, endlich seinen großen Bruder kennenzulernen …«
Ich verstand. Sie wollte mit Johannes allein sein. Also nickte ich ihr freundlich zu, und sie nahm Johannes bei der Hand. »Komm, Liebster«, sagte sie, und ohne noch jemand der Anwesenden auch nur eines Blickes oder gar eines Abschiedswortes zu würdigen, gingen beide davon, Hand in Hand.
Mit einem Schlag sprachen jetzt alle durcheinander. Mein Vater und sein Halbbruder Fordolf stritten sich fast darum, wer nun Johannes bei seinen Geschäften helfen dürfe; denn es war für uns ganz selbstverständlich, daß er seinem früheren Broterwerb nachgehen werde. Die Brüder Constantin und Apollonius redeten gleichzeitig aufeinander ein, und auch die übrigen Verwandten, mit denen unser eher kleiner Saal vollgestopft war, mußten nach der stummen Anspannung der letzten Stunden ihren Gedanken wortreich Ausdruck geben, und zwar alle auf einmal.
Nur Großvater Eckebrecht saß ganz still mit geschlossenen Augen da. Ich sah ihn nachdenklich an. Er war blaß, aber auf seinen Wangen leuchteten hektische rote Flecken. Ich griff mir den Weinkrug und schenkte ihm einen Becher voll - ungemischt.
»Großvater, geht es dir auch gut?« fragte ich besorgt. Er
öffnete die Augen und blickte mich an. Seine Züge waren heiter und von tiefstem Frieden erfüllt.
»Nun geht es mir ganz und gar gut, mein liebes Kind«, sagte er ruhig. »Gott hat es wunderbar mit uns allen gemeint.«
Auch Fordolfs Frau Engilradis wandte nun ihre Aufmerksamkeit ihrem Schwiegervater zu.
»Es ist spät geworden. Möchtest du mit mir nach Hause gehen?« fragte sie ihn, und Großvater, der sonst immer erst als letzter ein Familientreffen verließ, nickte und ging mit ihr davon.
Ich kam noch lange nicht ins Bett. Die Debatten meiner Verwandten fanden kein Ende. Als endlich alle gegangen waren, waren Apollonius und sein kleiner Bruder Constantin noch immer hellwach und redeten, redeten, redeten. Ich schaffte mit der Magd einen Strohsack und Decken für die beiden in den Saal, stellte ihnen einen sehr kleinen Krug Wein und einen sehr großen Krug Wasser hin, damit ihre Kehlen nicht austrockneten, dazu ein Brot und ein paar Früchte, küßte sie beide liebevoll und ging endlich müde zu Bett zu meinem Gottschalk.
Todmüde, aber nicht zu müde …
Wir schliefen am nächsten Morgen etwas länger als gewöhnlich und saßen noch beim Morgenbrei, als es unten an der Tür hämmerte. Es war mein Vater, und er sah sehr besorgt drein.
»Engilradis hat mir die Nachricht geschickt, daß es Großvater nicht gutgeht. Ich gehe jetzt sofort zu ihm.«
»Ich auch«, sagte ich, ließ mein Frühstück stehen und eilte mit Vater die Stiege hinab. Unten wartete meine Mutter, und wir liefen rasch zu Großvaters Haus in der Straße Unter Goldschmied . Hier herrschte nicht das gewohnte lebhafte
Treiben wie sonst zu dieser Morgenstunde; stumm und gedrückt saßen die Köchin, die Magd und der Handlungsgehilfe in der Küche. Nur der Knecht fehlte, er war auf dem Weg zu Constantin und dessen Geschwistern.
In Großvaters geräumiger Kammer, die er seit seiner ersten Ehe mit Fordolfs Mutter bewohnte, war das Fenster weit geöffnet. Die Morgensonne schien herein und warf einen breiten Lichtstrahl auf das Bett. Onkel Fordolf saß auf einem Hocker und hielt Großvaters Hand, während Tante Engilradis seine Kissen aufschüttelte, damit er bequemer liegen sollte.
Ich hatte Großvater noch nie zuvor in seinem Bett liegen sehen. Er war ein alter Mann und brauchte wenig Schlaf, und beim ersten Morgengrauen war er immer schon aus den Federn.
»Eckebrecht war noch nicht auf, als ich in der Küche erschien, und das ist seit undenklichen Zeiten nicht vorgekommen«, sagte Tante Engilradis. »Als ich bei ihm anklopfte, fand ich ihn so.«
Großvater lag ganz still. Seine Augen waren offen, aber er sah keinen von uns an, sondern schien in die Ferne zu blicken. Er war ein besonders großer Mann, aber jetzt im Bett sah er klein und hilflos aus.
»Was fehlt Großvater denn?« flüsterte ich.
»Ich fürchte, der Schlag hat ihn heute Nacht getroffen«, sagte Tante Engilradis traurig.
»Schaut her.«
Sie hob seine linke Hand etwas an, ließ sie los, und sie fiel völlig kraftlos herab.
Engilradis hatte Jahrzehnte damit verbracht, kranke Menschen in armen Familien zu pflegen; sie wußte Bescheid.
»Ich habe nach der Äbtissin von Sankt Ursula geschickt, aber ich fürchte, auch sie wird hier nicht helfen
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