Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
mit den niedrigen Vorgartenzäunen, deren Eisenstäbe pfeilscharfe Spitzen besitzen. Schon seit Jahrzehnten sind Zäune mit scharfen Gitterstäben in Unterschenkel-Höhe in Deutschland strengstens verboten. Wenn Sie derlei harmlose Flunkereien nicht stören, können Sie gerne einmal zu der Heinrich-von-Kleist-Str. pilgern, und ich verspreche Ihnen, dass Sie alles exakt so vorfinden werden, wie Sie es im Roman gelesen haben. Vielleicht entdecken sie ja dort sogar eine Damalstür .
Das Personal des Buches stammt bis auf einige Ausnahmen ebenfalls aus meinem damaligen Umfeld. Selbstverständlich habe ich die Originale genregemäß auf vielerlei Weise umgestaltet, dämonisiert, auf eine einzige Charaktereigenschaft reduziert oder zugespitzt. »Die Vierer Bande« zum Beispiel gab es tatsächlich, und diese aus der Punker-Szene kommenden Jungs haben tatsächlich unseren Umzug gestemmt, als wir damals in die Heinrich-von-Kleiststraße umsiedelten. Auch der superreiche Nachbar »Anton Wachs« mit dubios anmutendem Hintergrund und wie gemeißelter Kontur existierte in der Realität. Natürlich besaß er weder ein dunkles Geheimnis noch war er Architekt, sondern ein sehr liebenswürdiger Galerist. Die Figur des »Hardy Link« dagegen ist wie mittels Copy-und-Paste einer Gestalt aus meinem Bekanntenkreis aus alten Jugendtagen nachempfunden. Zu jener Zeit kannte ich tatsächlich einen Kotzbrocken von einem Provinzmaler, der ein Säufer vor dem Herrn war, ein furchteinflößend dröhnendes Sprachorgan besaß und keiner Kneipenschlägerei aus dem Wege ging. Mit der obligatorischen Baskenmütze auf dem Kopf, der speckigen Gewandung aus Cord-Stoff und dem enervierenden Nonstop-Genie-Getue gab der bärengestaltige Mann stets die Karikatur einer gescheiterten Existenz ab.
Hinsichtlich der Hauptfigur gestaltete es sich für mich recht schwierig, über die Nöte und das Seelenbefinden eines Künstlers zu sprechen, ohne selbst die Hosen herunterzulassen, sprich mich bis an die Schamgrenze zu exhibitionieren. Es war mir schon immer zuwider gewesen, dem Leser etwas Autobiographisches unverstellt und ohne literarische Veredlungs- und Verschleierungstechniken wie eine Faust aufs Auge zu drücken, nur weil man sich in diesem Metier wichtiger, sensibler und einzigartig vorkommt. Ich bin davon überzeugt, dass auch ein Versicherungsangestellter oder Metzgergeselle die Höhen und Tiefen des Lebens in gleicher Intensität wie ein Künstler empfindet und darüber reflektiert. Um ihn von mir zu unterscheiden habe ich deshalb an »Alfred Seichtem« sehr entscheidende Korrekturen vorgenommen. Ich scheue mich, das zuzugeben, doch im Gegensatz zu mir ist er trotz seiner vielen Lebenslügen ein richtiger Mann. Selbst in seinem Absturz verströmt er noch eine gewisse Lässigkeit und Körperlichkeit. Eine destruktive Entschlusskraft zeichnet ihn ebenfalls aus. Das macht ihn ein bisschen unsympathisch, verleiht ihm aber auch etwas von einem schönen gefallenen Engel. Apropos Engel: Der schwärzeste Engel ist natürlich die Figur der »Ida« (Uschis zweiter Vorname), die jedoch bis auf die beschriebenen Nebenjobs mit meiner Frau nicht das Geringste gemein hat. Es hat mir aber trotzdem satanischen Spaß gemacht, sie mit diesem völlig verzerrten Bild von ihr zu ärgern.
Nun zu den Fundamenten der Geschichte: Von Beginn an wollte ich, dass das Phänomen der »Tür« irgendwann rational begründet wird. Ich habe überhaupt nichts gegen Übernatürliches in einem Plot - in einem von vornherein als Hokuspokus angelegten Plot. Allerdings verabscheue ich Geschichten, die sich wie in diesem Falle zunächst ungeheuer zeitnah und zeitgenössisch, ja realistisch geben und am Schluss mit einer Hokuspokus-Auflösung aufwarten. Da fühle ich mich auf den Arm genommen. Das Blöde war jedoch, dass ich es hier einerseits mit jeder Menge Hokuspokus zu tun hatte und anderseits mit ganz realen Problemen wie Schuld, Untreue, Kindstod usw. Ich musste mir also eine handfeste Erklärung für die Damalstür einfallen lassen.
Was soll ich sagen, sie fiel mir beim besten Willen nicht ein. Deswegen klaute ich dreist - jedenfalls wägte ich mich die ersten siebzig Seiten lang in geradezu rumpelstilzchenhafter Gewissheit, dass bestimmt kein Mensch hinter meinen cleveren Diebstahl kommen würde. Es gibt da diesen einen von mir vergötterten, sehr unbekannten, sehr depressiven und kommerziell sehr desaströsen Film namens »Jacob’s Ladder« (Regie: Adrian Lyne), in dem Tim Robbins
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