Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Türen seines Gesichts

Die Türen seines Gesichts

Titel: Die Türen seines Gesichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
Vom Netzwerk:
zuckte hoch wie eine gebrochene Feder. Zwei Meter vom Boden entfernt traf mein Fuß seine Kinnlade, als er versuchte, nach rückwärts zu springen.
    Sein Kopf schnappte zurück, und er stürzte. Ein weiches Stöhnen entwich seinen Lippen. Das wäre alles, dachte ich. Tut mir leid, alter Junge.
    Als ich noch etwas benommen über ihn hinwegtrat, brachte er mich zu Fall, und ich stürzte auf ihn. Ich konnte nicht glauben, daß er nach diesem Schlag noch genügend Kraft besaß, bei Bewußtsein zu bleiben, ganz davon abgesehen, daß er sich auch noch bewegen konnte. Mir widerstrebte es, ihm noch mehr weh zu tun.
    Aber er fand meine Kehle und schob den Arm darüber, ehe ich erkannte, daß hinter seinem Verhalten ein Zweck stand.
    Nein! Laß es nicht so enden!
    Es war eine Stange aus Stahl, die über meiner Luftröhre, meiner Schlagader lag. Und dann erkannte ich, daß er immer noch bewußtlos war und ich nur einem Reflex zum Opfer gefallen war, den zahllose Jahre des Trainings in ihm herangebildet hatten. In Shiai sah ich einmal, wie das vor sich geht. Der Mann war gestorben, er war erstickt, aber er kämpfte immer noch weiter, und sein Gegner glaubte, den Griff nicht richtig angewandt zu haben. Er bemühte sich noch mehr im Kampf mit dem Toten.
    Aber es war selten, so selten!
    Ich trieb ihm den Ellbogen in die Rippen und stieß ihn mit dem Hinterkopf ins Gesicht. Der Griff lockerte sich, aber nicht genug. Ich tat es ungern, aber ich griff hoch und brach ihm den kleinen Finger.
    Der Arm lockerte sich, und ich konnte mich freiarbeiten.
    Da lag er jetzt, keuchend, das Gesicht verzerrt. Mein Herz neigte sich vor dem gestürzten Riesen, der sein Volk verteidigte und seine Religion und ihren Befehlen gehorchte. Ich verfluchte mich selbst, wie ich es noch nie zuvor getan hatte, daß ich über ihn hinweggestiegen war, statt um ihn herum.
    Ich taumelte durch den Raum zu dem kleinen Bündel meiner Habseligkeiten. Dann setzte ich mich auf den Projektor und zündete mir eine Zigarette an.
    Ich konnte nicht in den Tempel gehen, bevor mein Atem nicht wieder regelmäßig ging und mir etwas eingefallen war, was ich sagen sollte.
    Wie redet man es einer Rasse aus, sich selbst zu töten? Und plötzlich …
    … war das möglich? Würde es so einfach gehen? Wenn ich ihnen das Buch von Ecclesiastes vorlas, wenn ich ihnen ein Stück größerer Literatur vorlas, als je ein Locar geschrieben hatte – und doch genauso ernst, genauso pessimistisch – und ihnen zeigte, daß unsere Rasse weiterlebt, obwohl ein Mann das ganze Leben in einer Dichtung höchsten Grades verdammt hatte, wenn ich ihnen zeigte, daß der Hochmut, den er verspottet hatte, uns in den Himmel getragen hatte, würden sie es glauben? Würden sie ihre Meinung ändern?
    Ich trat meine Zigarette auf dem schönen Boden aus und fand mein Notizbuch. Eine seltsame Wut stieg in mir auf.
    Und ich trat in den Tempel, um die schwarze Predigt nach Gallinger zu halten, aus dem Buch des Lebens.
     
    Rings um mich war Schweigen.
    M’Cwyie hatte Locar gelesen, die Rose zu ihrer Rechten, das Ziel, aller Augen.
    Bis ich eintrat.
    Hunderte von Leuten saßen barfuß auf dem Boden. Die paar Männer waren ebenso klein wie die Frauen, stellte ich fest.
    Ich hatte die Stiefel an.
    Jetzt geht’s ums Ganze, überlegte ich. Entweder verlierst du, oder du gewinnst – alles!
    Ein Dutzend alte Fetteln saßen im Halbkreis hinter M’Cwyie. Die Mütter!
    Die tote Herde, nur ausgetrockneter Schoß, die vom Feuer Berührten.
    Ich trat an den Tisch.
    „Ihr, die ihr selbst sterbt, wollt euer Volk zum Tode verurteilen“, sprach ich zu ihnen, „auf daß sie das Leben nicht kennen, das ihr gekannt habt, die Freuden, die Sorgen, die Fülle, aber es ist nicht wahr, daß ihr alle sterben müßt.“ Jetzt sprach ich zur Menge. „Jene, die das sagen, lügen. Braxa weiß das, denn sie wird ein Kind tragen …“
    Sie saßen da wie Reihen von Buddhas. M’Cwyie zog sich in den Halbkreis zurück.
    „… mein Kind!“ fuhr ich fort und fragte mich, was mein Vater wohl von dieser Predigt gehalten hätte.
    „… Und alle Frauen, die jung genug sind, können Kinder tragen. Nur eure Männer sind steril. Und wenn ihr den Ärzten der nächsten Expedition gestattet, euch zu untersuchen, kann man vielleicht sogar den Männern helfen. Und wenn nicht, könnt ihr euch mit den Männern von der Erde paaren.“
    „Und wir sind ein bedeutendes Volk von einer bedeutenden Welt“, fuhr ich fort. „Vor Jahrtausenden schrieb der

Weitere Kostenlose Bücher