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Die Türen seines Gesichts

Die Türen seines Gesichts

Titel: Die Türen seines Gesichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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Berges, geschweige denn diese vielen Maschinen.“
    „Wir sind auf dem großen Berg – dem vierzig Meilen hohen?“
    „Ja.“
    „Wie bist du denn heraufgekommen?“ fragte sie.
    „Ich bin geklettert.“
    „Du hast wirklich Purgatorio erstiegen? Von außen?“
    „Purgatorio? So nennst du ihn? Ja, ich bin geklettert.“
    „Wir dachten nicht, daß es möglich sein würde.“
    „Wie kann man denn sonst den Gipfel erreichen?“
    „Er ist innen hohl“, sagte sie. „Es gibt große Höhlen und riesige Stollen. Es ist ganz leicht, in einem abgedichteten Düsenwagen innen heraufzufliegen. Das war eine Art Vergnügungspark. Zweieinhalb Dollar pro Person. Eineinhalb Stunden in jeder Richtung. Ein Dollar für einen Druckanzug und einen Spaziergang von einer Stunde am Gipfel. Ein netter Nachmittag. Herrlicher Ausblick …?“ Sie keuchte tief.
    „Ich fühle mich nicht besonders gut“, sagte sie. „Hast du Wasser?“
    „Ja“, sagte ich und gab ihr alles Wasser, das ich hatte.
    Während sie trank, betete ich darum, daß Doc das erforderliche Serum hatte oder sie zumindest wieder in den Schlaf zurückversetzen konnte, bis man es beschaffen konnte. Ich betete darum, daß er schnell kommen würde, denn zwei Stunden schienen, gemessen an ihrem Durst und der Röte ihrer Haut, eine lange Zeit.
    „Mein Fieber kehrt zurück“, sagte sie. „Sprich mit mir, Whitey, bitte … Erzähl’ mir etwas. Bleib bei mir, bis er kommt. Ich möchte mich nicht an das erinnern, was geschehen ist …“
    „Wovon soll ich dir denn erzählen, Linda?“
    „Sag’ mir, warum du es getan hast. Sag’ mir, wie es war, einen Berg wie diesen zu ersteigen. Warum?“
     
    Ich dachte zurück an das, was geschehen war.
    „Darin steckt ein gewisser Wahnsinn“, sagte ich, „ein gewisser Neid auf die großen, mächtigen Naturgewalten, der in manchen Menschen wohnt. Jeder Berg ist nämlich eine Gottheit, mußt du wissen. Jeder ist eine unsterbliche Macht. Wenn du an seinen Hängen Opfer bringst, gewährt ein Berg dir vielleicht eine gewisse Gnade, und dann kannst du eine Zeitlang diese Macht mit ihm teilen. Vielleicht nennt man mich deshalb …“
    Ihre Hand ruhte in der meinen. Ich hoffte, daß durch unsere Hände alle Kraft, die vielleicht in mir ruhte, sie so lange wie möglich bei mir festhalten würde.
    „Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich Purgatorio sah, Linda“, sagte ich ihr. „Ich sah ihn an, und mir wurde übel. Ich fragte mich, wo dies hinführen würde …?“
    (Sterne.
    Oh, laß diesen Augenblick verweilen.
    Bitte.)
    „Sterne?“

 
Sturm über Tierra del Cygnus
    This Moment of the Storm
     
    Als ich noch auf der Erde lebte, kam mein alter Philosophieprofessor – wahrscheinlich, weil er seine Notizen verlegt hatte – eines Tages in den Hörsaal und musterte seine sechzehn Opfer etwa eine halbe Minute lang. Dann, befriedigt, daß auf diese Weise eine genügend profunde Atmosphäre hergestellt war, fragte er:
    „Was ist ein Mensch?“
    Er hatte genau gewußt, was er tat. Er hatte eineinhalb Stunden hinter sich zu bringen, und elf von den sechzehn Hörern waren Mädchen (neun Kunstgeschichte, und die beiden anderen brauchten einen seiner Scheine).
    Eine von den beiden anderen, sie studierte eigentlich Medizin, lieferte ihm eine rein biologische Bestimmung.
    Der Professor (McNitt hieß er, wie ich mich plötzlich erinnere) nickte und fragte dann: „Ist das alles?“
    Und damit verbrachte er seine eineinhalb Stunden.
    Ich erfuhr, daß der Mensch ein denkendes Lebewesen ist, daß der Mensch das einzige Tier ist, das lachen kann, daß der Mensch größer ist als die anderen Tiere, aber geringer als Engel. Der Mensch ist in der Lage, sich selbst dabei zu beobachten, wie er sich beobachtet. Das zeigt sich, wenn er Dinge tut, von denen er weiß, daß sie absurd sind (das kam von einem Mädchen aus der vergleichenden Literaturgeschichte). Der Mensch ist ein Lebewesen, das Kultur überträgt, ist der Geist, der hofft, bestätigt, liebt, er benutzt Werkzeuge, begräbt seine Toten, entwickelt Religionen und versucht, sich selbst zu definieren. (Diese letzte Aussage kam von Paul Schwartz, meinem Zimmerkollegen. Ich hielt sie für recht gut. Was wohl aus Paul geworden sein mochte?)
    Jedenfalls, zu den meisten dieser Definitionen sage ich „vielleicht“ oder „teilweise schon, aber“. Oder einfach „Scheiße“. Ich glaube, die meine war die beste, weil ich auf Tierra del Cygnus, dem Land des Schwanes, Gelegenheit hatte, sie

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