Die Türen seines Gesichts
letzten fünfzehn Jahre wie fünfzehn Jahre, genau wie dir. Sie sind bereits viele Kapitel in den Geschichtsbüchern. Jedesmal, wenn man eine Reise zwischen den Sternen antritt, begräbt man ganz automatisch die Vergangenheit. Die Welt, die man vergißt, wird wie ein Fremder sein, wenn man je zurückkehrt, oder voller Karikaturen deiner Freunde, deiner Verwandten, ja sogar von dir selbst. Es ist keine besondere Leistung, mit sechzig Großvater und mit fünfundsiebzig oder achtzig Urgroßvater zu sein – aber flieg einmal auf dreihundert Jahre weg und komm dann zurück und lerne deine Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Enkel kennen, die vielleicht fünfundfünfzig Jahre alt sind und höchst erstaunt sind, wenn du sie besuchst. Das zeigt dir erst, wie unbeschreiblich allein du bist. Du bist nicht nur ein Mann ohne Land oder ohne Geld. Du bist auch ein Mann ohne Zeit. Du und die Jahrhunderte, ihr gehört nicht mehr zusammen. Du bist wie der Abfall, der zwischen den Sternen treibt.“
„Es wäre die Sache wert“, sagte er.
Ich lachte. Ich hatte mir seinen Kummer jetzt seit mehr als eineinhalb Jahren jeden Monat anhören müssen. Vorher hatte mich das nie sehr gestört, vermutlich war das heute also nur die Anhäufung der Ereignisse. Der Regen, der Samstagmorgen, meine letzten Besuche in der Bibliothek und seine Klagen, das reichte mir.
Seine letzte Bemerkung war zuviel gewesen. Es wäre die Sache wert.
Was sollte ich dazu sagen?
Ich lachte.
Er wurde puterrot.
„Du lachst mich aus!“
Er stand auf und funkelte mich an.
„Nein, das tue ich nicht“, sagte ich. „Ich lache mich selbst aus. Das, was du gesagt hast, hätte mich nicht stören dürfen, aber das hat es doch getan. Das macht mich auf etwas sehr Komisches an mir selbst aufmerksam.“
„Was denn?“
„Ich werde im Alter sentimental, und das ist komisch.“
„Oh.“ Er wandte mir den Rücken, ging ans Fenster und starrte hinaus. Dann schob er die Hände in die Taschen, drehte sich um und sah mich an.
„Bist du denn nicht glücklich?“ fragte er. „Echt, meine ich? Du hast doch Geld, und keiner redet dir etwas drein. Du könntest deine Sachen packen und mit dem nächsten IRS, das vorbeikommt, weiterfliegen, wenn du nur Lust hast.“
„Sicher bin ich glücklich“, sagte ich. „Mein Kaffee war kalt. Vergiß es einfach.“
Wieder dieses „Oh“. Er wandte sich dem Fenster zu, der grelle Widerschein eines Blitzes blendete ihn, und er mußte mit dem Donner wetteifern, um seine nächsten Worte herauszubringen. „Tut mir leid“, hörte ich ihn wie aus weiter Ferne sagen. „Ich hatte bloß immer das Gefühl, daß du einer der glücklichsten Burschen …“
„Das bin ich auch. Das ist heute bloß das Wetter. Jeder hat das in die Fresse bekommen. So wie du.“
„Ja, hast schon recht“, sagte er. „Sieh dir doch an, wie es regnet. Hab’ seit Monaten keinen Regen mehr gesehen.“
„Die haben sich den allen für heute aufgehoben.“
Er lachte.
„Ich geh’ jetzt hinunter auf eine Tasse Kaffee und ein Sandwich, ehe ich übernehme. Kann ich dir was mitbringen?“
„Nein, vielen Dank.“
Er ging pfeifend hinaus. Er bleibt nie lange deprimiert. Mit seinen Launen ist es wie bei einem Kind. Immer auf und ab, auf und ab … und das bei dem Beruf. Wahrscheinlich der schlimmste Beruf, den es für ihn gibt, wo er doch so lange an einem Ort festsitzen und aufpassen muß. Hell Cop heißt die Bezeichnung für unseren Job. Die sagen immer, das komme von einem antiken Fluggerät – einem Helicopter, denke ich. Wir schicken unsere Augen auf die ihnen vorgeschriebenen Bahnen, und sie bleiben dann entweder in der Luft stehen oder steigen oder fallen oder fliegen rückwärts, wie diese alten Maschinen das auch konnten. Wir patroullieren durch die Stadt und die Umgebung. Polizeiarbeit ist auf Cyg kein Problem. Wir spähen nie durch Fensterläden oder schicken Augen in ein Gebäude, ohne dazu eingeladen zu sein. Unser Zeugnis gilt vor Gericht. Wenn wir schnell genug ein paar Knöpfe drücken, arbeitet ein Band für uns, und wir können auch menschliche oder automatische Polizisten blitzschnell ausschicken, je nachdem, wer besser für die Arbeit geeignet ist.
Auf Cyg gibt’s nicht viele Verbrechen, obwohl jeder irgendeine Waffe trägt, selbst Kinder. Alle wissen ziemlich gut, was ihre Nachbarn vorhaben, und wenn einer fliehen muß, gibt es nicht viele Plätze, wo er sich verstecken kann. In erster Linie sind wir Luftverkehrspolizisten und haben ein Auge auf die
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