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Die Türen seines Gesichts

Die Türen seines Gesichts

Titel: Die Türen seines Gesichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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und sah, daß er eine große Segeltuchtasche aufgehoben und sie sich über die linke Schulter gehängt hatte, so wie Sankt Nikolaus.
    „Dreh dich um! Ich will nicht auf dich schießen“, warnte er.
    Der Verdacht kam, wuchs.
    „Chuck, hast du geplündert?“ fragte ich ihn.
    „Dreh dich um!“
    „Gut, ich dreh’ mich um. Was glaubst du wohl, wie weit du kommst?“
    „Weit genug“, sagte er. „Weit genug, daß keiner uns finden wird, und wenn die Zeit dafür kommt, verlassen wir diese Welt.“
    „Nein“, sagte ich. „Das glaube ich nicht, weil ich dich kenne.“
    „Wir werden sehen.“ Seine Stimme entfernte sich.
    Ich hörte drei schnelle Schritte, das Schlagen einer Tür. Als ich mich umdrehte, sah ich, wie der Flieger vom Balkon abhob.
    Ich blickte ihm nach. Keinen von beiden habe ich je wiedergesehen.
    Drinnen lagen zwei Männer bewußtlos auf dem Boden. Es stellte sich heraus, daß sie nicht ernsthaft verletzt waren. Nachdem ich Hilfe geholt hatte, ging ich wieder zu Eleanor in den Turm.
    Diese ganze Nacht über warteten wir, leergepumpt, auf den Morgen.
    Irgendwie kam er auch.
    Wir saßen da und sahen zu, wie Licht durch den Regen sickerte. So viel war so schnell geschehen. So viele Dinge hatten sich in der letzten Woche ereignet, daß wir auf so einen Morgen nicht vorbereitet waren.
    Er brachte das Ende des Regens!
    Ein guter Wind kam aus dem Norden und kämpfte mit den Wolken wie En-Ki mit der Schlange Tiamat. Plötzlich gab es eine Schlucht aus Kobalt.
    Ein Wolkenbeben erschütterte den Himmel, und Licht flutete über das dunkle Land.
    Vor unseren Augen wurde es immer heller.
    Ich hörte begeisterte Rufe und krächzte mit, als die Sonne sich wieder zeigte.
    Die gute, warme, trocknende, wohlwollende Sonne zog die höchsten Kämme des Saint-Stephen an ihr Gesicht und küßte sie.
    Menschenmassen drängten zu den Fenstern. Auch ich stand da und starrte vielleicht zehn Minuten lang hinaus.
     
    Wenn man aus einem Alptraum erwacht, findet man sich normalerweise unversehrt im Schlafzimmer wieder. Auf die Weise kann man auch erkennen, ob etwas nur ein schlimmer Traum war oder Wirklichkeit, ob man wach ist oder nicht.
    In großen Stiefeln stapften wir durch die Straßen. Überall lag Schlamm. In den Kellern, in Hohlräumen der Maschinen, in den Abflußkanälen und in den Kleiderschränken. Auf den Gebäuden, auf den Autos, auf den Leuten und auf den Zweigen der Bäume. Zerbrochene braune Blasen, die trockneten und darauf warteten, daß man sie entfernte. Schwärme von Himmelkröten stiegen in die Luft. Wenn wir näherkamen, summten sie wie Fliegen um unsere Köpfe, und wenn wir gegangen waren, kehrten sie zurück. Auch die Insekten feierten ein Fest. Betty würde entlaust werden müssen. So viele Dinge waren umgekippt oder heruntergestürzt und lagen halb begraben unter dem braunen Gewirr der Wasserpflanzen auf den Straßen. Man hatte die Toten noch nicht gezählt. Das Wasser rann immer noch vorbei, aber jetzt träge und faul. Ein Gestank begann sich über die Stadt zu verbreiten. Da gab es eingeschlagene Schaufenster, überall lag Glas, Brücken waren eingestürzt und tiefe Löcher in den Straßen … Aber weshalb fortfahren! Wenn Sie das Bild bis jetzt noch nicht erfaßt haben, werden Sie es nie erfassen. Es war der große Morgen nachher, der Morgen nach dem Zechgelage der Götter. Es ist das Los der Sterblichen, immer ihre Überreste zu beseitigen oder unter ihnen begraben zu werden.
    Also räumten wir. Aber als der Mittag kam, konnte Eleanor nicht mehr stehen. Ich nahm sie mit mir nach Hause, weil wir in der Nähe des Hafens am Arbeiten waren und der Weg zu meiner Wohnung kürzer war.
    Das ist beinahe die ganze Geschichte. Licht, Dunkelheit, Licht. Abgesehen vom Ende, das ich nur in der Phantasie kenne. Aber vom Anfang werde ich Ihnen noch erzählen …
     
    Ich ließ sie aussteigen, und sie ging zu meinem Apartment, während ich den Wagen parkte. Warum schickte ich sie voraus? Ich weiß nicht. Vielleicht, weil die Morgensonne die Welt trotz all des Schmutzes so friedlich erscheinen ließ. Vielleicht auch, weil ich verliebt war, die Dunkelheit vorüber war und der Geist der Nacht uns verlassen hatte.
    Ich parkte den Wagen und stieg aus. Ich hatte die Hälfte des Weges bis zu der Ecke zurückgelegt, an der ich damals dem Org begegnet war, als ich sie schreien hörte.
    Ich rannte. Die Angst verlieh mir Geschwindigkeit und Kraft.
    Der Mann hatte einen Sack, ähnlich wie der, den Chuck mit sich geschleppt

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