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Die Türen seines Gesichts

Die Türen seines Gesichts

Titel: Die Türen seines Gesichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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an ihnen vorbei und ins Zentrum. Mir war das Ganze peinlich.
    Chuck folgte mir nach ein paar Minuten. Als er neben mich trat, blickte ich auf die Bildschirme. Die Lage schien etwas besser, wenn der Regen auch immer noch die einhundertdreißig Aussichtspunkte von Betty in einen feuchten Schleier hüllte.
    „Äh, Juss“, sagte er. „Ich wußte nicht, daß du vorbeikommen würdest …“
    „Das kann ich mir denken.“
    „Was ich sagen wollte, du wirst mich doch nicht etwa melden, oder?“
    „Nein, ich werde dich nicht melden.“
    „… und Cynthia gegenüber erwähnst du auch nichts, oder?“
    „Nein, deine Seitensprünge sind deine Privatangelegenheit. Als Freund würde ich dir nur vorschlagen, das in deiner Freizeit und in etwas geeigneterer Umgebung zu tun. Aber mein Erinnerungsvermögen beginnt bereits zu verblassen. Ein oder zwei Minuten noch, dann habe ich es ganz bestimmt vergessen.“
    „Danke, Juss“, sagte er.
    Ich nickte.
    „Was hat denn die Wetterzentrale zu sagen?“ fragte ich und griff nach dem Telefon.
    Er schüttelte den Kopf. Also wählte ich und lauschte.
    „Schön“, sagte ich dann und legte auf.
    „Wird noch feuchter.“
    „Verdammt“, meinte er und zündete sich mit etwas unsicheren Händen eine Zigarette an. „Mir geht dieses Wetter wirklich auf die Nerven.“
    „Mir auch“, sagte ich. „Ich verschwinde jetzt. Ich will nach Hause kommen, ehe es anfängt richtig schlimm zu werden. Ich komm’ wahrscheinlich morgen vorbei. Bis dann.“
    „Gute Nacht.“
    Ich fuhr mit dem Aufzug hinunter, holte meinen Mantel und ging. Lotti sah ich nirgends, aber wahrscheinlich war sie noch im Haus und wartete, bis ich gegangen war.
    Ich ging zu meinem Wagen und hatte etwa die halbe Strecke nach Hause zurückgelegt, als die Wasserleitungen sich wieder öffneten. Der Himmel wurde von Blitzen zerrissen, und eine Gewitterwolke hing wie eine große Spinne über der Stadt, wie eine Spinne, deren Beine aus Blitzen zu bestehen schienen. In fünfzehn Minuten war ich zu Hause. Als ich in meine Garage fuhr, war die Spinne immer noch zu sehen.
    Drinnen lauschte ich dem Donner und dem Regen und blickte auf die Apokalypse hinaus, die sich dort in der Ferne abspielte.
    Das Delirium einer Stadt in der Faust des Sturmes.
    Die Gebäude auf der anderen Straßenseite waren in dem pulsierenden Licht der Spinne oder Wolke ganz deutlich zu sehen. Ich hatte das Licht in meiner Wohnung abgeschaltet, um das Schauspiel, das sich mir bot, besser sehen zu können. Alle Schatten schienen unglaublich schwarz und scharfkantig; sie lagen unmittelbar neben glühenden Treppen, Bürgersteigen, Baikonen und Fenstersimsen; alles, was beleuchtet war, schien wie von innen heraus zu brennen. Und am Himmel stakste dieses feurige Wesen, von dem man nicht wußte, ob es ein lebendes Insekt oder eine Wolke war. Ein Auge, das von einem blauen Lichtschein wie einem Heiligenschein umgeben war, schwebte über den Dächern der angrenzenden Häuser. Die Feuer pulsierten, und die Wolken brannten wie die Berge der Hölle; der Donner polterte und krachte, und der weiße Regen prasselte auf die Straße herunter, über der jetzt dampfender Schaum stand. Und dann rannte ein „Schnapper“, dreigehörnt, grün, mit nassen Federn, Dämonengesicht und Schwertschweif um eine Ecke, unmittelbar nachdem ich ein Geräusch gehört hatte, von dem ich glaubte, es gehöre zu dem Gewitter. Mit unglaublicher Geschwindigkeit rannte die Bestie über das rauchige Pflaster. Ein Auge fegte hinter ihm her und fügte zu den fallenden Regentropfen seinen eigenen Hagelschauer hinzu. Beide verschwanden in einer Seitenstraße. Es hatte nur einen Augenblick gedauert, aber in diesem Augenblick hatte ich die Antwort auf eine Frage gefunden, die mich schon eine Zeitlang beschäftigte, die Frage nämlich, wer das malen sollte. Nicht El Greco, nicht Bake; nein, Bosch. Gar keine Frage. Bosch. Seine Alptraumvisionen der Straßen der Hölle. Er allein würde diesem Augenblick des Sturms Gerechtigkeit widerfahren lassen können.
    Ich sah zu, bis die Gewitterwolke ihre Beine wieder einzog, dann wie ein brennender Kokon am Himmel hing und schließlich starb, wie verglühende Asche.
     
    Der Sonntag zeigte sich als Tag des Chaos.
    Kerzen brannten, Kirchen brannten, Leute ertranken, Tiere rannten wild auf den Straßen herum (oder schwammen), Häuser wurden entwurzelt und tanzten wie Papierschiffchen auf dem Wasser, und der große Wind kam über uns und brachte den Wahnsinn.
    Ich konnte

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