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Die Türen seines Gesichts

Die Türen seines Gesichts

Titel: Die Türen seines Gesichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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nicht zum Rathaus fahren, also schickte mir Eleanor ihren Flieger.
    Im Keller stand das Wasser, und das Erdgeschoß sah aus wie Neptuns Wartezimmer. Alle bisherigen Hochwasserpegel waren bereits übertroffen.
    Wir steckten mitten im schlimmsten Sturm, den Betty in seiner ganzen Geschichte erlebt hatte.
    Die Kommandozentrale war ins dritte Stockwerk verlegt worden. Es gab jetzt keine Möglichkeit mehr, den Dingen Einhalt zu gebieten. Es kam nur noch darauf an, diesen Weltuntergang zu überstehen und so viel Hilfe zu leisten, wie es nur gerade ging. Ich saß vor meiner Galerie von Monitoren und beobachtete.
    Es schüttete wie aus Kübeln, es strömte wie aus Tankwagen; es regnete Swimmingpools, Seen und Flüsse. Eine Weile schien es, als kämen Meere über uns. Das hing mit dem Wind zusammen, der vom Golf hereinwehte. Und plötzlich sah es so aus, als fiele der Regen waagerecht, so heftig war der Wind. Das Inferno fing gegen Mittag an und hatte ein paar Stunden später aufgehört. Aber als es vorbei war, war unsere Stadt zerbrochen, blutete aus allen Wunden. Wyeth lag auf dem Rücken, die Fahnenstange war verschwunden, und es gab kein Gebäude ohne zerbrochene Fenster und ohne Wasser in den Räumen. An vielen Stellen war die Elektrizität ausgefallen, und eines meiner Augen zeigte drei Pandas, die ein totes Kind fraßen. Fluchend tötete ich sie durch den Regen und über die Ferne hinweg. Eleanor weinte neben mir. Später hörten wir von einer schwangeren Frau, die nur mit Kaiserschnitt gebären konnte. Sie war mit ihrer Familie auf einer Bergkuppe gefangen, als ihre Wehen begannen. Wir versuchten sie mit einem Flieger zu erreichen, aber die Winde …
    Ich sah brennende Häuser und die Leichen von Menschen und Tieren. Ich sah halbbegrabene Autos und zerborstene Wände. Ich sah Wasserfälle an ehemals trockenen Stellen. An diesem Tag gab ich viele Schüsse ab, und zwar nicht nur auf Tiere aus den Wäldern. Sechzehn meiner Augen waren von Plünderern zerschossen worden. Ich hoffe, daß ich einige der Filme, die ich an jenem Tag machte, nie wieder sehen muß.
    Als der schrecklichste Sonntagabend meines Lebens anfing und die Regen nicht aufhörten, erfuhr ich zum dritten Mal in meinem Leben, was Verzweiflung bedeutet.
    Eleanor und ich standen in der Beobachtungszentrale. Die Lichter waren gerade zum achten Mal ausgegangen. Der Rest des Personals hielt sich unten im dritten Stock auf. Wir saßen in der Dunkelheit, ohne uns zu bewegen, ohne irgend etwas tun zu können, um den Weg des Chaos aufzuhalten. Wir konnten nicht einmal sehen, was um uns herum vorging, bis wir wieder Elektrizität haben würden.
    Also unterhielten wir uns.
    Ob es fünf Minuten waren oder eine Stunde, weiß ich nicht. Ich erinnere mich daran, wie ich ihr von dem Mädchen erzählte, das auf einer anderen Welt begraben lag und dessen Tod mich auf den Weg geschickt hatte. Zwei Reisen zu zwei Welten hatten meinen Bund mit der Zeit gebrochen. Aber hundert Jahre des Reisens bringen kein Jahrhundert des Vergessens, nicht, wenn man die Zeit mit dem halben Tod des kalten Schlafes betrügt. Die Rache der Zeit ist die Erinnerung, und wenn man auch äonenlang dem Auge die Sicht und dem Ohr das Gehör nimmt, so ist die Vergangenheit doch noch bei einem, wenn man erwacht. Das Schlimmste, was man dann tun kann, ist, zurückzukehren und das namenlose Grab seiner Frau in einem Land zu besuchen, das sich verändert hat, als Fremder an den Ort zurückkehren, der einst die Heimat war. Man flieht wieder, und nach einer Weile vergißt man wirklich einiges, weil alle Gegenwart zur Vergangenheit wird. Aber dann bist du allein, ganz auf dich gestellt. Völlig allein. Das war das erste Mal in meinem Leben, daß ich die Bedeutung der Verzweiflung erkannte. Ich las, ich arbeitete, ich trank, ich hurte, aber am Morgen danach war ich immer wieder ich – und allein. Ich hüpfte von Welt zu Welt und hoffte, daß die Dinge sich ändern würden, aber mit jedem Mal entfernte ich mich weiter.
    Und dann überkam mich langsam ein anderes Gefühl. Es war ein schreckliches Gefühl: es muß irgendwo einen Ort und eine Zeit geben, die für einen bestimmten Menschen am besten geeignet ist. Nachdem der schlimmste Schmerz nachgelassen hatte und ich mich mit der Vergangenheit, die es nicht mehr gab, abgefunden hatte, dachte ich über die Situation des Menschen in Raum und Zeit nach. Wo und wann im Kosmos würde ich am liebsten den Rest meiner Tage verleben? Die Vergangenheit war tot, aber

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