Die Ueberlebenden von Mogadischu
Lutzau, »warum beschäftigt sich die Kunst mehr mit den Tätern der RAF als mit den Opfern?« Darauf Claus Peymann: »Die Antwort ist banal: Es ist die größere Provokation. Die Faszination für das Böse liegt in der menschlichen Psyche. Das ist schon bei Shakespeare so. Die Täter sind sozusagen der Kick. Ich würde Ihnen allerdings gern einräumen, dass es vielleicht sogar wichtig wäre, die Geschichte der Opfer als Stoff aufzugreifen. Ich weiß nur nicht, ob es letztlich nicht ein bisschen langweilig wäre, das ist das Schlimme. [. . . ]«
Gabriele von Lutzau: »Meinetwegen. Das Böse darzustellen hat Tradition in der Kunst und ist völlig legitim. Aber es geht auch anders. Meine Kunst stellt nicht das Negative dar, bildet es nicht ab, lässt es nicht auch noch Gestalt werden. Sie setzt nicht das Negative um, sondern stellt dem etwas Kraftvolles, Schützendes entgegen.«
Gabriele von Lutzau spricht Claus Peymann auf seine Solidarität für den zu dieser Zeit noch inhaftierten RAF -Terroristen Christian Klar an, der bei einem Kongress ein umstrittenes Grußwort hatte verlesen lassen. »Dass Sie das Grußwort von Klar verteidigen, hinterlässt bei mir eine tiefe Fassungslosigkeit. Wie weit ist es gekommen, wenn sich die Linke solidarisiert – so solidarisiert mit einem Mörder? Der Mann ist ja nicht im Gefängnis, weil er links denkt, sondern weil er neun Menschen umgebracht hat.«
Claus Peymann: »Sie kämpfen mit harten Bandagen, als RAF - 275 Opfer völlig berechtigt. Meine Position kommt aus einer anderen Erfahrung. Ja, Sie haben recht, die RAF hat zu Unrecht getötet. Aber sie hat ihre Wurzeln in einem großen politischen Aufbruch, einer Utopie. An die Zündungsmomente der Empörung sollte man sich erinnern.«
Die beiden kommen auf die Eskalation des RAF -Terrors Mitte der siebziger Jahre zu sprechen. »Aus meiner Perspektive«, so Claus Peymann, »kippte damals das Klima: Sehen Sie, in Stammheim waren die Leute aus der RAF plötzlich ganz andere Figuren. Da stand gebündelt die Tragik und Hoffnung meiner Generation. Ulrike Meinhof kannte ich persönlich, auch andere. In Stammheim waren sie plötzlich einsame, gebrochene Leute.«
Gabriele von Lutzau: »Warum muss für alles Verständnis gefunden werden? Arme gebrochene Menschen! Den armen Herrn Schleyer hat die RAF wochenlang gefangen gehalten und dann kaltblütig ermordet. Ermordet – mit einem Genickschuss! Und bis dahin hatte sie schon viele andere Unschuldige umgebracht, insgesamt sind zwei Drittel ihrer Opfer sogenannte kleine Leute, keine angeblichen Systemvertreter. Die RAF hat auch die umgebracht, für die sie behauptete die Revolution zu machen. Und was macht das Motiv für einen Unterschied?«
Gabriele von Lutzau führt das Gespräch immer wieder auf die Perspektive der Opfer zurück. »Wo waren und sind die Gutmenschen aus der Linken in Bezug auf die Opfer? Man hätte sich zumindest um die Witwen der Fahrer kümmern können, wenn schon nicht um die Angehörigen der namhaften Opfer. Das wäre doch politisch korrekt gewesen, oder?«
Claus Peymann entgegnet: »In dieser Rolle und Pflicht hat man den Staat gesehen.«
Gabriele von Lutzau: »Das ist nicht Ihr Ernst. Haben Sie denn nie über die Opfer nachgedacht? Hat die deutsche Linke nie über die Opfer nachgedacht?«
Claus Peymann: »Nein, nicht in dem Maße wie über die Täter. [. . . ]«
276 Bei der Trauerfeier für Hanns Martin Schleyer hält Bundespräsident Walter Scheel eine Rede, in der er die Persönlichkeit des Toten und dessen Lebensleistung würdigt und sorgfältig die Rolle des Terrorismus in der Gesellschaft analysiert. Nicht Walter Scheels direkte Nachfolger Karl Carstens, Richard von Weizsäcker und Roman Herzog, sondern erst Bundespräsident Johannes Rau bezeichnet im Jahr 2002 , 25 Jahre nach dem Deutschen Herbst, die Taten der RAF -Mitglieder nicht als Ausdruck der politischen Auseinandersetzung, sondern ordnet sie als kriminelle Morde ein. »Sie sahen sich im Kampf gegen Imperialismus und Militarismus«, sagt Johannes Rau bei einer Veranstaltung zum Gedenken an die RAF -Opfer am 18. Oktober 2002 , »sie haben Menschen umgebracht, kaltblütig, mit Vorsatz und in dem Wahn, damit eine freie, eine menschliche Gesellschaft erzwingen zu können.« Der Bundespräsident gedenkt der Opfer, »alle Ermordeten waren Ehemänner und Väter, sie waren Brüder und Freunde, sie waren Kollegen und Weggefährten. Sie standen mitten im Leben. Sie wurden grausam aus ihren
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