Die Ueberlebenden von Mogadischu
so um die Angehörigen gekümmert, wie das nötig war? Haben die Betroffenen tatsächlich alle Unterstützung bekommen, die angesichts der traumatischen Erlebnisse erforderlich war? Manch einer hat da seine Zweifel.« Justiz und Polizei seien viel zu lange nur täterorientiert gewesen. »Das Verbrechensopfer und seine Angehörigen interessierten bestenfalls als Zeugen, mit der Bewältigung der Tat ließ man sie weitgehend allein [. . . ].«
Am Ende ihrer Rede kommt Brigitte Zypries auf das persönliche Empfinden der Opfer zu sprechen. »Wer damals einen geliebten Menschen verlor oder wer die terroristische Tat am eigenen Leib durchlitten hat, für den bleiben die Verbrechen von einst mehr als 279 ein zeitgeschichtliches Ereignis. Mag manche Tat auch schon mehr als drei Jahrzehnte zurückliegen, Trauer und Leid dauern für viele Menschen an.«
Auch der Präsident des Deutschen Bundestages, Norbert Lammert, konstatiert einen Mangel an Respekt vor den Angehörigen, »wenn das öffentliche Interesse in den Jahren und Jahrzehnten nach der Tat vor allem den Tätern und ihrer Lebensgeschichte galt und gilt, nicht den Opfern und ihren Angehörigen«. Leben und Sterben von Terroristen würden in Filmen, Theaterstücken und Romanen beschrieben, analysiert, erklärt, gelegentlich verklärt und sogar heroisiert. »Den Tätern gab und gibt man [. . . ] die Gelegenheit, sich in Autobiographien, Interviews und Talkshows zu erklären, sogar als Berater von Filmen zu dienen, die staatlich bezuschusst werden.«
Die Schicksale der Opfer und ihrer Angehörigen seien erst seit Kurzem in den Blick genommen worden. »Exopfer gibt es nicht.« Die Opfer dürften nicht vergessen werden – »und die Gefährdungen unseres Staates und unseres Zusammenlebens auch nicht«. Beides könne durch eine Gedenktafel in der Hauptstadt, am Sitz von Parlament und Regierung, zum Ausdruck kommen.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sagt, in der Normalität einer modernen, westlichen, freiheitlichen Welt müssten sich die Bürgerinnen und Bürger kaum um Gefahren für Leib und Leben kümmern. »Wir sind in unserem Alltag selten gezwungen, uns den letzten, existenziellen Fragen zu stellen.« Erst wenn der Rechtsstaat durch Terroristen bedroht wird, die Geiseln nehmen und Morde begehen, offenbare sich »die bittere, tragische, schwer auszuhaltende Einsicht, dass es ein Leben in Sicherheit, in Freiheit, in Frieden niemals ganz ohne existenzielle Risiken, niemals ganz ohne Opfer geben kann«. Wolfgang Schäuble nennt die Opfer »die andere Seite unserer freiheitlichen, offenen Ordnung«. Wir neigten dazu, sie zu verdrängen, »weil sie weh tun, uns ängstigen, uns daran erinnern, dass die menschliche Natur auch ihre grausame, gewalttätige, dunkle Seite hat«.
280 In der anschließenden Podiumsdiskussion nennt der moderierende Zeit -Redakteur Bernd Ulrich die Veranstaltung »möglicherweise schon seit ein bis zwei Jahrzehnten überfällig«. Im Lichthof des Museums sitze zwar viel Macht zusammen, »dennoch hat man das Gefühl, dass dies eine Veranstaltung der Gegenöffentlichkeit« sei. Die »eigentliche« Öffentlichkeit beschäftigt sich damals wieder aktuell mit den Tätern des Terrorismus, konkret mit der Frage, ob sie nach langer Haft begnadigt werden sollen.
Der Mann, der über diese Frage entscheidet und zugleich das höchste Amt im Staat innehat, Bundespräsident Horst Köhler, ist an jenem Mittwoch nicht anwesend. Wenige Monate vor dieser Veranstaltung, am 7. Mai 2007 , hat Köhler ein Gnadengesuch der früheren RAF -Terroristin Birgit Hogefeld abgelehnt, die 1993 festgenommen und 1996 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Ebenfalls am 7. Mai 2007 sprach sich der Bundespräsident gegen ein Gnadengesuch des früheren RAF -Terroristen Christian Klar aus, der 1982 festgenommen und mehrfach zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden war. Drei Tage vor seiner Entscheidung über das Gnadengesuch hatte sich Köhler mit Christian Klar an einem geheim gehaltenen Ort zu einem Gespräch getroffen.
»Er ist zu Christian Klar gefahren, aber nicht zu uns«, stellt Jürgen Vietor in der Rückschau fest. Er hat dem Bundespräsidenten daraufhin einen Brief geschrieben, in dem er fragte: »Warum reisen Sie einem Täter hinterher? Haben Sie mal daran gedacht, die Kinder und die Witwe des ermordeten Lufthansa-Kapitäns der ›Landshut‹, Jürgen Schumann, aufzusuchen?« Jürgen Vietor schließt den Brief mit der
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