Die Ueberlebenden von Mogadischu
Familien und aus unserer Mitte gerissen.«
Johannes Rau kommt manche Darstellung der Ereignisse des Jahres 1977 »seltsam distanziert und nüchtern vor. Da fehlt es an Mitgefühl, an Mitleiden.« Das aber gehöre doch in den Mittelpunkt: die Gefühle der Opfer, die Trauer ihrer Familien, die Empfindungen vieler Menschen damals, die Angst und die Beklemmung, die Bedrohung und die Ohnmacht, die Wut und die quälende Ungewissheit, die Schuld und die Trauer und das Leid. »Ja, das vor allem: das unendlich große Leid, das fanatische Frauen und Männer über Mitmenschen gebracht haben.«
Kurz danach sagt Johannes Rau die Sätze, mit denen er einen neuen Blick auf die Täter und ihre Handlungen wirft: »Die Mitglieder der RAF haben andere Menschen ermordet. Sie sind Mörder. Nichts kann ihr Handeln rechtfertigen. Nichts kann es entschuldigen.«
Die Rede findet in den Medien ein positives Echo. Presse und Rundfunk würdigen sie als wichtigen Beitrag zur weiteren Dis 277 kussion. Doch die Rede von Johannes Rau bedeutet erst den Anfang vom Ende des Mythos » RAF «.
Es vergehen noch Jahre, bis sich diese Haltung auch in der Publizistik und in der Wahrnehmung einer breiten Öffentlichkeit Bahn bricht. Anlass dazu gibt das Buch der Journalistin Anne Ameri-Siemens Für die RAF war er das System, für mich der Vater , in der sie zum 30. Jahrestag des Deutschen Herbstes die »andere Geschichte des deutschen Terrorismus« erzählt. Anne Ameri-Siemens interviewt Opfer von Terroranschlägen durch die Rote Armee Fraktion, Frauen und Männer, die dabei ihre Partner oder Eltern verloren haben. Dabei kommt das Schicksal von Familien zutage, über die bis dahin kaum gesprochen und geschrieben wurde, anders als über das Schicksal zum Beispiel der Familie Schleyer. Anne Ameri-Siemens weitet den Begriff des Opfers erstmals auf Überlebende des RAF -Terrors aus – auch mit Geiselopfern aus der »Landshut«, Gabriele von Lutzau und Jürgen Vietor, hat sie Interviews geführt.
Das Buch erlebt mehrere Auflagen, was zeigt, dass es das aktuelle Bewusstsein über den deutschen Terrorismus trifft. Durch die weite Verbreitung wird dieses Bewusstsein seinerseits gestärkt.
Ebenfalls zum 30. Jahrestag des Deutschen Herbstes mit den Entführungen von Hanns Martin Schleyer und den Passagieren der Lufthansa-Maschine »Landshut« gibt es in Berlin eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des RAF -Terrorismus. Im Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums stehen 36 Holztafeln mit Porträts der Menschen, die durch den RAF -Terrorismus umgekommen sind. Eingeladen sind deren Angehörige, aber auch die Frauen und Männer, die aus einer terroristischen Aktion lebend herausgekommen sind. Die zweite Gruppe bildet sich vor allem aus den früheren »Landshut«-Geiseln.
Die Veranstalter – Bundesregierung, Wirtschaft und mehrere Stiftungen – wollen aller Opfer des deutschen Terrorismus gedenken, nicht nur derer, die umgekommen sind.
Weiter sind ehemalige Politiker dabei wie der frühere Bundes 278 präsident Walter Scheel oder der Bundesjustizminister des Jahres 1977 , Hans-Jochen Vogel, außerdem frühere Angehörige der Grenzschutztruppe 9 , die Crew und Passagiere der »Landshut« in der Nacht auf den 18. Oktober 1977 befreit haben. Auch ihr Leben wurde mit dem RAF -Terrorismus schicksalhaft verknüpft.
Es handelt sich um die erste staatliche Gedenkveranstaltung dieser Art. »Wir erinnern uns heute«, sagt Justizministerin Brigitte Zypries, »an die Polizisten und Fahrer, die im Dienst ermordet worden sind. Wir denken an die Diplomaten und an die Repräsentanten von Wirtschaft und Justiz, die dem Terror zum Opfer gefallen sind. Wir erinnern uns an die Menschen, die in der ›Landshut‹ gelitten haben. Und wir gedenken auch der amerikanischen Soldaten, der niederländischen Beamten und der Schweizer Passantin, die von deutschen Terroristen getötet worden sind.«
Brigitte Zypries räumt ein, die historische Auseinandersetzung mit der RAF habe sich lange Zeit vor allem um die Motive der Terroristen und die Reaktionen des Staates gedreht. »Die Opfer kamen allenfalls am Rande vor. Zumeist wurden sie so wahrgenommen, wie die Täter sie sahen – nicht als Menschen, sondern als Repräsentanten eines politischen Systems.«
Der Rückblick auf das menschliche Leid, das der Terrorismus angerichtet habe, sei für den Staat auch ein Anlass zur Selbstkritik. »Haben sich«, fragt die Justizministerin, »die Behörden damals wirklich immer
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