Die Ueberlebenden von Mogadischu
Aufforderung: »Sorgen Sie sich mehr um die Opfer, nicht so sehr um die Täter – diese haben es nicht verdient.« Aus Protest gegen die schließlich durch das OLG Stuttgart verfügte vorzeitige Haftentlassung des Terroristen gibt Jürgen Vietor sein Bundesverdienstkreuz zurück.
Bundespräsident Horst Köhler spricht am Tag der Gedenkveranstaltung, dem 24. Oktober 2007 , bei der Wiedereröffnung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar, die ein Feuer teil 281 weise zerstört hatte. Seine Abwesenheit wird von vielen mit Unverständnis aufgenommen.
In unserem ersten Gespräch haben Sie Ihr Unverständnis darüber ausgedrückt, dass der Bundespräsident nicht an der zentralen Gedenkfeier für die Opfer des RAF -Terrorismus 2007 teilgenommen hat.
Ja, das fand ich ungeheuerlich. Die Hinterbliebenen der RAF -Opfer waren im Historischen Museum Berlin, Altbundespräsident Walter Scheel war da, Ministerinnen und Minister waren da, aber der Präsident ging lieber zur Wiedereröffnung einer Bibliothek. So wichtig eine Bibliothekseröffnung ist – man hätte den Termin auch so legen können, dass er mit der Gedenkfeier in Berlin nicht kollidiert.
Er wollte nicht die Frage, wie er es mit der vorzeitigen Haftentlassung ehemaliger Terroristen hält, gestellt bekommen.
Ja, mag sein. Aber bei dieser Feier ging es ja nicht um die Frage, ob jemand wie Christian Klar vorzeitig entlassen werden darf. Das war eine Feierstunde, eine Gedenkfeier für die Opfer. Deren Leben hat sich durch die Taten von RAF -Terroristen schlagartig und auf traurige Weise verändert.
(Jürgen Vietor, 2011 )
Doch es gibt auch Gelegenheit zur Freude. Diana Müll trifft auf der Gedenkveranstaltung ihren Befreier. Sie weiß, dass sie als
Letzte befreit worden ist. Sie hatte sich beim Schusswechsel von GSG - 9 -Leuten und Terroristen unter einen Sitz verkrochen und dabei eingeklemmt. Sie konnte nicht mehr selbst aufstehen, sondern musste von einem Mitglied der GSG 9 geborgen werden.
Auf dieser Feier wurden wir einander nicht vorgestellt. Auf einmal kommt ein kleiner Mann, den ich nicht kannte, auf mich zu und sagt: »Darf ich sie einmal ansprechen?« Ich dachte: »Was will der?« Dann fragte er: »Sind Sie eine Geisel aus der ›Landshut‹?«
»Ja.«
»Sind Sie eine der Schönheitsköniginnen, die, die als Letzte aus der Maschine kam?«
282 »Ja.«
»Dann bin ich derjenige, der Sie herausgeholt hat.«
Diesen Moment werde ich nie vergessen. Ich war das erste Mal in meinem Leben sprachlos. Mein Freund, der neben mir stand, wurde ganz weiß. Ich habe ihn angesehen und schon gemerkt, wie bei mir das Wasser läuft. Und ich habe gesagt: »Das ist doch nicht wahr!« Der Mann sagte: »Ich finde es toll, dass wir uns nach so vielen Jahren kennenlernen.« Und ich zu ihm: »Sie können sich nicht vorstellen, was mir das bedeutet.«
»Wir sind alle da!«
»Wo seid ihr genau?«
»Wir stehen alle verteilt.«
»Dann sammeln Sie jetzt bitte Ihre Männer ein und ich hole die Frauen und Männer her, die mit in der Maschine waren.«
Eine Viertelstunde später lagen wir uns alle in den Armen. Alle haben geheult.
(Diana Müll, 2011 )
Veranstaltungen wie die Gedenkfeier in Berlin stärken das Selbstbewusstsein der Opfer, sich als Opfer zu bekennen. Auf die Frage, ob er sich als Opfer fühle, antwortet Jürgen Vietor mit einem klaren Ja, wenngleich mit einer Einschränkung.
»Ja, in einem weiteren Sinn sind auch wir Opfer, aber natürlich weniger als die Menschen, die sterben mussten, und weniger als ihre Hinterbliebenen, die Witwen und Halbwaisen, die bis heute um sie trauern. Wenn ich so höre, was anderen nach der Entführung widerfahren ist, Ehen gingen zu Bruch, Leute kamen mit ihrem Leben nicht mehr klar, glaube ich auch, dass es unter uns Opfer gegeben hat. Natürlich bin ich Opfer einer Entführung, aber nicht auf so schlimme Weise wie andere. Meine damalige Frau hat nicht ihren Mann und meine Kinder haben nicht ihren Vater verloren. Ich habe die Entführung überlebt, ich hatte danach auch keine größeren psychischen Probleme.«
Im Jahr der Berliner Gedenkfeier, 2007 , gibt es neue TV -Dokumentationen über den RAF -Terrorismus. Die Filme beschreiben, welche Folgen die Verbrechen für die Täter hatten. In ihnen lebt 283 eine »leichte Robin-Hood-Sympathie« fort (ein Wort von Corinna Ponto, Tochter des von Terroristen ermordeten Bankiers Jürgen Ponto), ein weichzeichnender Blick von Journalisten auf die Täter. Gerade
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