Die Uhr der Skythen (German Edition)
trotzigen Lächeln stehen sie neben der geöffneten Haustür. Die Mutter hat ihre Haare mit allerlei Spangen und Nadeln kunstvoll hochgesteckt, trägt die weiße Sonntagsschürze, die ihr bis auf die Stiefel reicht, ihre Hände sind wie im Gebet beieinander und schützen ihr keusches Geschlecht, verborgen unter unsäglichen Röcken und Tüchern. Der Vater trägt den schwarzen Anzug mit schiefer Krawatte, hat die Arme vor der Brust verschränkt und lächelt derart verbiestert unter dem Schirm der Kapitänsmütze hervor, als zwinge ihn der Fotograf mit vorgehaltener Waffe vor die Linse.
»Wann ist das?«
»Wie bitte?«
»Wann ist das Foto hier gemacht? Ihr beiden vor dem Haus.«
»Nach dem Krieg.«
»War ich schon da?«
Er schüttelt müde den Kopf.
»Nee. Wohl nicht.«
Sie stehen zwar beieinander und gehören in ihrer Verlegenheit offensichtlich zusammen, aber sie berühren sich nicht, nicht einmal mental, wie es scheint, sind wohl mehr oder weniger zufällig vor die Kamera geraten, nach dem sonntäglichen Kirchgang Opfer eines geschäftstüchtigen Fotografen geworden, und nur einige Minuten später werden sie diese Verkleidung abgelegt haben, die Mutter mit der bunten Schürze Speck und Zwiebeln in den Topf auf der Kochmaschine schnippelnd, in dem ein Stück guter Butter zergeht, der Vater kommt schon mit dem Rad aus dem Schuppen, hat den Gummiwagen mit dem Angelzeugs angehängt, die Rute über der Schulter und schiebt das Gespann ohne jedes Wort, ohne einen Blick zwischen den letzten Kirchgängern durch, die vorn am Eingang zum Friedhof und hinten bei der Ecke zur Landstraße beisammen stehen und tratschen, als hätten sie keine vernünftige Arbeit.
Diesen Moment aber hat es tatsächlich gegeben. Vor vierzig oder fünfzig Jahren haben seine Eltern genau so vor ihrem Haus gestanden, und mag es auch nur für eine Minute ihrer gleichförmigen Leben gewesen sein. Wie lange hatte Mutter da noch zu leben?
»Die Lehne…!«
Der Vater deutet mit dem Daumen hinter seinen Kopf.
»Was ist damit?«
»Die Lehne soll höher!«
Fokko stellt das Kopfteil des Bettes höher und spürt dabei, wie er gehorcht, wie sehr alle Gelassenheit gespielt ist. Er ist der Sohn, der gebrechliche Alte ist sein Erzeuger, und die Hierarchie funktioniert, als lebte er seit Jahrzehnten in der unheilvollen Gesellschaft des Vaters und käme eben von einer Besorgung zurück.
Was soll er dem alten Mann sagen? In ihrem Haus wurde nur das Nötigste gesprochen und man war stolz darauf: kein Gewäsch. Wie bei den Indianern. Wenn der Komantsche also nach der Sonntagsmesse die Fische vor oder hinter dem Deich besuchte, hat er sich nicht verabschiedet, bin mal weg, bis nachher, Petri Heil! Wußte sowieso jeder, wohin er war und daß er pünktlich zum Sonntagsessen am Tisch sitzen würde.
Einer rätselhaften Eingebung folgend zieht Fokko das Taschenmesser aus dem Rucksack und hält es dem Alten hin.
»Kennst du das noch?«
Seine Augen flackern, eine Hand versucht, sich dem Gegenstand zu nähern.
»Was ist das?«
»Das Messer.«
Es ist eine Weile still.
»Vom Tommy?« fragt der alte van Steen schließlich mit krächzender Stimme, und seine Finger versuchen zitternd, sich den Erinnerungen zu nähern, die Fokko ihm entgegenhält. Er legt das Messer in die Hand, die es dem Engländer vor ewiger Zeit aus der Brusttasche gezogen hat.
»Ja«, sagt der Vater, und in seinen Augen steht der Glanz des Wiedererkennens. »Der Tommy. Hatte sich verflogen. Kam nicht niedrig von der See, wie es sich gehörte, hatte schon eine Weile den Schutz der Winternacht verloren, kam vom Land her, als hätte er im Hümmling oder wo auftanken müssen und glaubte wohl, gemütlich in sein Königreich zurücksegeln zu können, aber irgendwas kam ihm dazwischen, kann sein, die deutschen Stellungen rund um den Dollart.«
Mit der einen Hand hält er das Messer umklammert, mit der anderen deutet er an die Zimmerdecke, wo er die Spitfire kommen sieht, verfolgt mit dem Finger ihren irrwitzigen Flug, das Aufsteigen und die beiden beschaulichen Schleifen, schließlich das Wegknicken und den Sturzflug.
»Patsch«, sagt der Alte und läßt die Hand auf die Bettdecke fallen. »Wie wenn man einen Spaten ins Watt stößt. Er hätte nur straff nach Westen, zehn Meter über normal wäre ich über das Wasser geknattert, hätte der Flak bei Termunten einen bleiernen Gruß entboten und wäre zwischen Festland und Inseln zickezacke nach Hause gezischt.«
Er redet sich in Rage.
»Ich
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