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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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draußen über dem Dollart wird der Himmel heller. Fokko stellt das Fahrrad in den Schuppen. Im Zwischenflur hängen an einer Hakenleiste der Hut und der Kittel seines Vaters. Er hängt seinen Parka dazu, zieht die Stiefel aus und schlüpft in die Holzschuhe, die vor der Wand stehen. In der Küche empfängt ihn wieder diese muffige Luft, eine Essenz aus jahrealten Essensdünsten, frischgefangenem Fisch, regennasser Kleidung und Zigarettenrauch.
    Der Aschekasten der Kochmaschine ist randvoll. Wann hat der Vater die Küche das letzte Mal geheizt? Und hat er gewußt, daß es das letzte Mal war? Neben dem Herd steht der Holzdeckel, ohne den es passieren konnte, daß einen der Nordwest in der Tür erwischte und die komplette Küche in ein Schwarzweißfoto verwandelte. Er drückt den Deckel auf den Aschekasten. Paßt wie am Tag, als der Vater ihn aus der Werkstatt mitbrachte.
    Der Garten ist ein vertrockneter Dschungel. Irgendjemand, so scheint es, hat vor Jahren versucht, sich einen Pfad durch die Wildnis freizuschlagen, dem folgt Fokko an den zwei Birnbäumen vorbei, in deren verwucherten Kronen ein paar verfrorene Früchte kleben. An manchen Stellen sind wie archäologische Verweise unter dem wilden Bewuchs Steine zu erkennen, die auf den Verlauf der Beete schließen lassen, die der Vater seines Vaters vor jeglicher Zeitrechnung angelegt hat. Davon muß es ein Foto geben. Der Großvater als junger Mann mit schwarzer Hose, schwarzer Weste und einem weißen, kragenlosen Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln stützt sich für den Moment der Aufnahme auf einen Spaten oder eine Hacke und schaut mit einer Ernstlichkeit in die Kamera, als gehörte er zu einem Erschießungskommando. Der Garten ist damals nichts als ein Stück gepflügter Weide, mit Holzpflöcken und Schnüren skizziert wie das Schnittmuster für eine Patchworkdecke. Das Land hinter dem Grundstück ist seltsam karg, wirkt unbewohnt und unbewirtschaftet. Wo heute die Bäume des Nachbarn den Blick auf den Deich verwehren, gab es damals nicht mehr als ein paar kümmerliche Büsche und, so er sich richtig erinnert, einen Handkarren, den ein magerer Junge durch den Mittelgrund zieht und einen verständnislosen Blick auf den Mann wirft, der in der Positur des Eroberers in der Mitte einer aufgerissenen Weide verharrt.
    Er schaut in den Himmel. Das Wetter ist abgezogen, hinter Freesemanns Hof blinzelt die Sonne durch die Baumkronen, und der Wind hat sich hinter den Deichen verkrochen. Die Nacht wird klar und kalt werden. Bei guter Sicht konnte man früher von der Dachluke aus das Leuchtfeuer von Delfzijl sehen, das es schon lange nicht mehr gibt. Als Junge kannte er jede Kennung in der Deutschen Bucht, und die der Ems und von Borkum sowieso. Er öffnet den Aschekasten und kippt den Inhalt in die hinterste Ecke des Grundstücks. Die Asche fließt durch das Gestrüpp zu Boden und legt sich wie eine unheilvolle Ausblühung auf die Blätter des Unkrauts.
    Im Haus macht er ein kräftiges Feuer. Die Kochmaschine knistert und knackt, der Qualm drückt sich zwischen den Ringen hervor, wabert schwerflüssig über die eiserne Platte, bis die Thermik ihn durch den Schornstein und über das Dach hinaus in den Winterhimmel hinaufträgt.
    Im Eingangsflur setzt er die Standuhr in Gang, hört eine Weile auf das Ticken, betrachtet das Zifferblatt, versucht, wie es ihm als Kind gelang, der ungeheuer langsamen Bewegung des Minutenzeigers zu folgen. Aber es ist für ihn nichts weiter zu erkennen als eine zage, unwillkürliche Bewegung im großen Spiegel, die seine Hand vollführt, als wehrte sie etwas ab. Unversehens steht er da fremd in seiner Kindheit. Ein nicht mehr ganz junger Mann, das blonde Haar ist gedunkelt und schütter geworden, ein paar Falten haben sich auf der Stirn und aus den Augenwinkeln in das Gesicht gefressen, in dem er für diese Sekunde den Ausdruck eines großgewachsenen Kindes erkennt. Das ist er.
    In der Küche wird es wärmer. Er wirft ein paar Scheite ins Feuer, setzt den Wasserkessel auf die Kochmaschine und sucht die Kanne und den Tee. Auf der Schwelle der Tür zum Garten hockt eine Katze und sieht ihm zu. Er macht einen behutsamen Schritt, läßt sich langsam auf die Knie herab und setzt seine gekrümmte Hand wie eine Katzentatze auf den Boden. Das Tier schaut ihn aus großen, grünen Augen an. Es ist für diesen Moment, als erinnerten sie sich beide, aber das kann nicht sein, Freesemanns hatten eine Katze, aber die war grau und getigert, die hier ist schwarz und

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