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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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auf den Rückweg.
    Fokko betrachtet ihn genauer, aber was da in Hamelmanns Augen glüht, ist allenfalls eine wissenschaftliche Gier.
    »In Pogum«, antwortet er. »Sie besitzt noch eine besondere Eigenschaft.«
    »Welche?«
    »Mit ihr kann ich die Zeit anhalten.«
    »Wie bitte?«
    »Wenn ich sie aufklappe, hält die Zeit an.«
    All die Weisheit, die der alte Lehrer in seinem bibliophilen Leben gesammelt haben mag, verdichtet sich jetzt in dem Lächeln, mit dem er sich auf den Stuhl zurücksetzt und ihnen frischen Tee in die Tassen gießt.
    »Das wäre so, Steen, als würden Sie mir erzählen, Sie könnten plötzlich unsichtbar sein oder dergleichen, durch Wände gehen oder Gedanken lesen.«
    »Ja.«
    Und bei der zweiten Tasse Tee erzählt Fokko seine Geschichte, wählt dabei die knappe Variante, quasi die wissenschaftliche, die ohne persönliche Episoden auskommt und zum Beispiel die Möglichkeit wegläßt, wie man mit der Zauberuhr eine verflossene Freundin in eine peinliche Situation versetzt. Hamelmann hört die ganze Zeit aufmerksam zu, aber er scheint kaum daran interessiert, welche Kunststücke und Gaunereien man sich ausdenken könnte, vielleicht glaubt er auch die Erzählungen seines ehemaligen Schülers ganz einfach nicht, oder es beschäftigt ihn eher die philosophische Dimension des Zeitstillstandes, auf jeden Fall wartet er geduldig, bis Fokko damit endet, daß er mit dem Zauberding letztlich nichts mehr zu tun haben mag und es in Pogum sicher versteckt hat.
    »Die Zeit«, sagt Hamelmann sehr ernst, »ist das Grundelement unserer Vorstellungswelt. Ohne sie kommt tatsächlich alles zum Stillstand: jedes Leben, jeder Gedanke.«
    Für einen Moment scheint er verschiedene Möglichkeiten durchzuspielen, dann sagt er: »Wirf das Ding weg, Steen!«
    »Wenn das so einfach wäre. Ich habe es ausgelöst und müßte nun abwarten, bis die Uhr abgelaufen ist.«
    »Dafür müßten Sie die Zeit anhalten. Das ist ein interessantes Paradoxon.«
    »Es ist ein Fluch, Herr Hamelmann!«
    »Nun«, sagt der Lehrer generös lächelnd und gönnt sich einen Keks, »das Zeitempfinden wird durchaus sehr subjektiv erlebt. Nicht anders wird es mit einer solch magischen Uhr gehen, wenn sie denn wirklichlich existiert. Da dürfte schon der eine oder andere sein, der ein vitales Interesse daran hätte, auf so ein Zauberding geprägt zu sein und durch die Zeit zu spazieren wie ein Dieb durch die Nacht.«
    Fokko schaut ihn skeptisch an.
    »Aber«, sagt Hamelmann und winkt wie zur Beruhigung ab, »zuletzt wird man begreifen, es sind nur ein paar billige Tricks, mit denen man den Rest der Menschheit verwirren und betrügen kann, am Ende läuft die Uhr ebenso ab wie das eigene Leben. Es ist leider keine Zeitmaschine, Steen! Dafür gäbe ich meine befleckte Seele!«
    »Leider«, sagt Fokko und nickt.
    »Außerdem ist meine Uhr tatsächlich bald abgelaufen.«
    »Was erwarten Sie dann?«
    »Nichts.«
    »Und was ist mit der Fähigkeit des Menschen, über den Tellerrand seines Gehirns sehen zu können?«
    »Die besitzt er nicht wirklich. Der transzendente Blick soll über die irdische Existenz des Menschen hinausweisen, aber seine Phantasie ist komplett und eisenschwer im Diesseits angekettet. Man kann sich unendlich viele Vorstellungen machen, aber die werden in der Regel von den irdischen Erfahrungen gespeist. Der eine erwartet, daß das Paradies seine Stammkneipe ist oder ein Fußballstadion, eine Bibliothek oder ein Bordell, dem anderen indes sind genau diese Lokalitäten die Hölle.«
    »Also?«
    »Ich lege mich nicht fest. Schließe nichts aus. Warte ab.«
    »Und wenn Sie tatsächlich an eine reich verzierte Pforte treten werden, Petrus empfängt sie lächelnd, den mächtigen Schlüssel an einer Kette auf der Brust, schaut kurz in seine Unterlagen und führt sie in die himmlische Bibliothek, wo es nur goldene Bücher gibt und darin das komplette Wissen aller Universen?«
    »Dann wäre die Ewigkeit gerettet.«
    »Was übrigens«, fragt Fokko und macht eine vage Bewegung der Hand, »wird dann mit all dem hier geschehen?«
    »Am liebsten«, sagt Hamelmann und schaut sich im Raum um, als würde er erst jetzt auf die gewaltige Ansammlung bedruckten Papiers aufmerksam, »würde ich meinen Leichnam auf einen Stapel erlesener Bücher betten und mit ihm das Haus anzünden lassen. Mit der Bibliothek wird kaum jemand etwas anfangen können, die Villa gehört eh in diese Gegend wie eine Gutenbergbibel in eine Leihbücherei, und danach: cinis et

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