Die Uhr der Skythen (German Edition)
Organen, er erkennt kaum die Silhouette des Sekretärs, das karge Winterlicht zieht sich durch das Fenster aus dem Haus und versetzt die gute Stube in eine unnatürlich trübe Dämmerung. Er hört die weibliche Stimme sprechen, aber die Verbindung scheint so schlecht, daß er kaum versteht, was sie erklärt, irgend etwas von einer Abmeldung, von einer Bescheinigung und einer Gebühr, und dazwischen klingen wie die Namen zweier Geschwisterkinder die Wörter Osnabrück und fünf Euro .
Als es im Hörer still geworden ist, hört er sich selbst plötzlich geistesgegenwärtig fragen, wie denn die Dienstzeiten wären der Meldebehörde, und die Stimme antwortet tatsächlich vollkommen klar und routiniert, montags bis donnerstags von acht bis sechzehn Uhr, am Freitag von acht bis zwölf.
»Bei Gelegenheit«, spricht die Stimme der Behörde fröhlich und in einem Tonfall, der das Gegenteil von Dringlichkeit und Fristversäumnis suggeriert.
»Danke, ja«, sagt er, hört das Knacken in der Leitung und legt auf.
Der Flammenwerfer in seinem Inneren schaltet sich sofort ab, jetzt ist es freilich weniger, daß er Energie gefressen, als sie erst recht aufgeheizt und hochgekocht hätte, Fokko steht wie ein Kessel unter Dampf und Druck, brennend nach Bewegung und Energieverlust geht er rasch durch das Haus in den Flur und schaut auf die Standuhr, die eine unbegreifliche Zeit zeigt. Es scheint halb fünf zu sein. Er eilt in die Küche zurück, holt den Eierkorb und rennt rüber zu Freesemanns, als gelte es, Leben zu retten, und erst, als er sich mit einem Brot und vier Spiegeleiern an den Tisch setzt, kommt er langsam zu Ruhe und Besinnung.
»Sie war extra länger im Amt«, sagt er. Hat diesen Anruf außerhalb der Dienstzeiten, also gewissermaßen außerhalb ihrer Dienstpflichten erledigt, vielleicht sogar von zu Hause aus, wo immer das ist. Jedenfalls, so scheint ihm, besitzt es so etwas wie eine private Note, es könnte eine Art verschlüsselter Botschaft sein, denn eine Formulierung wie beispielsweise bei Gelegenheit , so kommt ihm vor, stammt nicht aus der Amtssprache.
Am folgenden Tag fährt Fokko van Steen mit dem Fahrrad zum Rathaus von Jemgum. Das Wetter ist ihm gnädig, der graue Himmel reißt gelegentlich auf, und ein heller Fleck streift über das Land, als würde jemand von da oben hier unten etwas suchen. Es geht kaum ein Wind, der die naßkalte Luft bewegte, Fokko indes stellt sich unterwegs den Frühling vor, der in zwei, drei Monaten mit derselben Gewißheit kommen wird, mit der die Zugvögel im Watt stehen werden, die Obstbäume blühen, der Klee auf den Deichen, das Land wird sich auf einzigartige Weise erwärmen, die Menschen treten aus ihren Häusern, sprechen miteinander und verspüren eine kabbelige Lust, sich zu berühren.
Er hat es so eingerichtet, daß er wenige Minuten vor vier das Rathaus betritt und an die Tür der Meldebehörde klopft. Merreth Winterboer empfängt ihn an ihrem Schreibtisch mit derselben generösen Freundlichkeit wie beim ersten Mal, sucht seinen Vorgang im Rechner, druckt die Abmeldebescheinigung aus, stempelt und unterschreibt sie, versieht sie auf der Rückseite mit einer Gebührenmarke, die ebenfalls gestempelt und gezeichnet wird, dann stellt sie eine Quittung aus, und Fokko beobachtet die ganze Zeit ihre Hände, die wie ein verliebtes Paar filigraner Vögel aufgeregt die Tastatur umflattern, entschlossen den Stempel greifen oder in fließendem Flug eine Unterschrift schreiben. Auf den Fingern entdeckt er nicht eine einzige Sommersprosse, nur da, wo die Hand in den Arm übergeht und im Ärmel ihres kunterbunten Pullovers verschwindet, sind wie die Manschetten einer asymmetrischen Spitzenbluse die Gestade der Epheliden zu erkennen, die wahrscheinlich die meisten Partien ihres Körpers besetzt haben werden. Wie eine Herde roter Büffel aus höchster Höhe fotografiert, denkt Fokko.
»Wohnst jetzt nur in Pogum«, sagt sie, reicht ihm die Dokumente, nimmt die fünf Euro, die Fokko auf den Tisch gelegt hat, läßt sie in ihrem Schreibtisch verschwinden, schaut ihn lächelnd an und nickt. »Das war’s.«
»Danke!«
Vor dem Rathaus verstaut er die Papiere umständlich im Rucksack, linst zu Hamelmanns Garten hinüber, aber drüben rührt sich nichts. Die Kirchturmuhr schlägt viermal. Er prüft die Luft auf dem Vorderreifen, wischt mit der flachen Hand über den Sattel, schiebt das Rad in einem Kreis über den Vorplatz, stellt es in den Fahrradständer zurück, sucht seine
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