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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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zieht die alte Taschenuhr aus der Westentasche, die er von seinem Großvater geerbt hat, öffnet sie und legt sie vor sich auf den Tisch.
    »Um genau acht Uhr werde ich dir ein Zeichen geben. Dann öffnest du dein Zauberding, gehst nach draußen, bringst einen Schneeball herein und schließt es wieder.«
    Schwammheimer fixiert die Taschenuhr, dann macht er ein Zeichen mit dem Lehrerfinger. Fokko öffnet seine Uhr, geht, bringt einen Schneeball und setzt ihn auf das Schnapsglas. Dann schließt er die Uhr.
    »Fertig«, sagt er.
    »Eine Sekunde.«
    Fokko deutet auf das Glas.
    »Erstaunlich«, sagt Schwammheimer, schenkt dem Schneeball einen zerknirschten Blick und kratzt sich am Kopf, »wirklich erstaunlich.« Seine Intelligenz ist vor allem Phantasie. Er ist nicht nur in der Lage, Umstände rasiermesserscharf zu analysieren, sondern auch, sie blitzschnell an ihr Ende zu denken, und so braucht er jetzt nicht länger als ein, zwei Atemzüge, um zu begreifen, was da vor seinen Augen geschehen ist, ohne daß er es hat sehen können. »Weißt du, was das bedeutet, Fokko?«
    »Ja, nein.«
    »Darf ich mal?« fragt Schwammheimer, reicht über den Tisch, nimmt die Zauberuhr und legt sie neben seine Taschenuhr, als gäbe es etwas zu vergleichen. »Bei zwei nach acht.«
    Fokko schüttelt den Kopf.
    Schwammheimer öffnet die Uhr.
    »Es funktioniert nicht«, sagt Fokko noch, aber es funktioniert. Schwammheimer sitzt an seinem Platz wie aufgemalt. Der Alterspräsident der Handelskompagnie schaut mit einem konservierten Lächeln für alle Zeiten nach der Zeit.
    »Es funktioniert.« Er begreift es erst allmählich, aber er muß sich sowieso nicht sputen, denn die Welt steht still und niemand wartet auf seine Reaktion. Er steht auf, sieht nach Eva, die sich, zum soundsovielten Male in einer Pose tiefgefroren, mit einer Flasche Rum in der Hand dem obersten Regal hinter der Theke entgegenreckt. Die spezielle, an einen Bogen gemahnende Streckung ihres trainierten Körpers, in dessen Mitte er jetzt in einer begehrlichen Reminiszenz einen bestimmten Pfeil imaginiert, die Bewegung, die trotz der Starre erkennbar ist, das erinnert ihn an die unbeschwerte Zeit, zu der ihrer beiden Häute eine Anziehungskraft besessen haben, die sich nun wohl endgültig aufgelöst hat.
    Fokko setzt sich an den Tisch zurück.
    Es funktioniert auch ohne ihn, aber dennoch nur mit ihm, quasi an ihm. Die Kräfte der Zauberuhr scheinen auf ihn fixiert zu sein. Schwammheimer hat sie eben öffnen können, aber nur, um sich selbst in eine ewige Starre zu versetzen. Das scheint nicht ungefährlich zu sein. Wenn er nun nichts weiter tut oder nichts weiter tun kann, ist der Lauf der Welt an ein plötzlich Ende gekommen, und er, Fokko van Steen, wird ein sehr einsames Leben führen.
    Er langt über den Tisch und schließt die Uhr.
    »Es funktioniert nicht«, sagt Schwammheimer.
    »Es funktioniert.«
    »Ist doch nichts passiert. Die Uhr geht nicht einmal richtig auf.«
    Fokko lacht.
    »Doch«, entgegnet er. »In der Zehntelsekunde, in der du die Uhr geöffnet hast, ist die Zeit stehengeblieben – und du mit ihr.«
    »Und wie hätte ich sie dann wieder schließen können?«
    »Das war ich. Und vorher bin ich noch aufgestanden, habe nach Eva geschaut. Sie hat just eine Flasche Rum in das Regal hinter der Theke geräumt.«
    Schwammheimer schaut ihn nachdenklich an.
    »Das würde bedeuten«, sagt er, »daß die Uhr gewissermaßen auf deine Person geprägt ist, egal wer sie nun öffnet.«
    »Ja.«
    »Das scheint mir mit gewissen Risiken verbunden.«
    »Hab ich mir auch überlegt.«
    Schwammheimer erklärt es trotzdem.
    »Wenn also jemand anderes, beispielsweise jemand, der dir die Uhr entwendet hat, sie öffnet, so wird er auf der Stelle erstarren. Unser Freund Fokko ist dann einigermaßen allein unterwegs und der einzige, der in der Lage ist, die Welt wieder in Gang zu setzen.« Er spielt gedankenverloren mit der Uhr in seiner Hand. »Wenn er weiß, wo sie ist.«
    »Ja.«
    »Aber vielleicht schwindet sein Einfluß ja auch, wenn sich jemand mit der Uhr von ihm entfernt.«
    »Vielleicht. Gib her!«
    Fokko langt über den Tisch, nimmt die Uhr an sich und steckt sie in den Rucksack. 
    »Andererseits«, fährt Schwammheimer unbekümmert fort, »scheint der Besitz der Uhr auch mit gewissen vorteilhaften Aussichten verbunden zu sein.«
    »Ja«, sagt Fokko schwach.
    Schwammheimer streicht sich durch den kurzen Bart, setzt sich irgendwie zurecht und schaut Fokko an. »Wie bist du an

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