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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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können Dinge erinnern, die wir nicht erlebt haben: ausgedachtes Zeugs, Bücher und Bilder und Musik. Glaubst du, daß ein Löwe im Schatten eines Affenbrotbaumes liegt, in die afrikanische Abendsonne blinzelt und in sattem Frieden daran denkt, wie er vor kaum einer Stunde eine zarte Gazelle verschlungen und anschließend die Löwin vernascht hat?«
    »Nein.«
    »Siehst du.« Schwammheimer nimmt den nächsten Stein ins Visier, trifft ihn jedoch nicht richtig, und er bleibt ein Stück vor dem Loch an der Bande liegen.
    »Und was hat das mit mir zu tun? Und mit Eva?«
    Fokko versenkt zwei Steine nacheinander.
    »Das hat etwas zu tun mit dem eisernen Gesetz der Unzeitgleichheit.«
    Spricht es und konzentriert sich erst einmal eine Weile auf sein Spiel.
    »Na klar«, sagt Fokko.
    »Es tut mir leid.« Schwammheimer lächelt freundlich und gießt sich Wasser ein.
    »Was?«
    »Das mit Eva.«
    »Ja«, sagt Fokko und verhaut den nächsten Stein. »Und was ist das für ein Gesetz?«
    »Mehr eine Theorie. Von den divergierende Tempi und Routen. Eure Beziehung ist wie die Begegnung zweier Schiffe, die auf dem Ozean in Sichtweise fahren. Für eine Zeit, die vorher niemand bestimmen kann.«
    »Hört sich wirklich reizend an. Mir scheint eher, daß sie in mich reingefahren ist. Wollte mich versenken. Auf jeden Fall hat sie jetzt ihren Kurs komplett neu vermessen.«
    Sie spielen das Brett schweigend zu Ende. Schwammheimer gewinnt mit einem kläglichen Punkt.
    »Zigarettenpause?«
    Schwammheimer nickt. Seine Hand zittert ein wenig.
    »Was hast du?« fragt Fokko.
    »Wie bitte?«
    »Du zitterst.«
    »Stimmt.« Er betrachtet die ausgestreckte Hand, als wäre es nicht seine.
    »Entzugserscheinungen?«
    »Eher Parkinson.«
    Sie lachen wie zwei Alte auf der Parkbank, die sich jeden Tag den selben Witz erzählen. Dann prosten sie sich mit Bier und Schnaps zu und trinken. Fokko holt seinen Rucksack, kramt nach dem Tabak und stößt dabei auf die Uhr. Es ist beinahe, als hätte er sie eben neu entdeckt. Ein Schreck durchfährt ihn wie jemanden, der sich nach dem Zähneputzen an den sagenhaften Lottogewinn vom Vortag erinnert, aber die freudige Erregung mischt sich mit einer unbestimmbaren Furcht.
    »Schwamm«, sagt er leise.
    »Ja?«
    »Ich habe da heute was gefunden.«
    »Was denn?«
    »Eine Uhr.«
    »Schön.« Er nimmt einen Schluck Wasser. »Eva hat dich quasi als Lotsen gebraucht. Aus dem Hafen ihrer spießbürgerlichen Herkunft hast du sie über den Strom der verwirrenden Wirklichkeit und in die Freiheit der Weltmeere geführt. Da hat sie nun längst eigene Fahrt aufgenommen und begriffen, daß sie dem Lotsen vielleicht dankbar sein sollte, aber nicht mehr auf ihn angewiesen ist. Es ist immer eine Passage, Fokko. Nichts ist unendlich, kein Wesen…«
    »Laß mich mit dem blöden Seemannsgarn in Ruhe, Schwamm!«
    Er holt die Uhr hervor und legt sie auf den Rand des Carrombretts.
    »Das ist sie.«
    »Eine alte Uhr«, bemerkt Schwammheimer.
    »Sieht so aus, aber das wäre nicht sonderlich besonders.«
    »Sondern?«
    »Sie kann die Zeit anhalten.«
    »Wie bitte?«
    »Ich kann mit ihr die Zeit anhalten.«
    »Jau, klar!« lacht Schwammheimer.
    Fokko klappt die Uhr auf. Die Stille umfängt ihn wie ein schützender Mantel, obwohl es ruhig gewesen ist, nichts als ihre eigenen Worte und die sparsamen Geräusche, die Eva in der Küche machte. Schwammheimer sitzt ihm mit dem eingefrorenen Lachen gegenüber wie auf einem altmeisterlichen Gemälde: der Vorsitzende einer Handelskompagnie erfährt soeben von der erfolgreichen Rückkehr seiner Karavellen und wird eine Flasche Aquavit ordern.
    In hundert Jahren nicht, denkt Fokko amüsiert, sucht die Carromsteine aus den Beuteln und baut sie in der Mitte der Brettes in akkurater Ausgangsstellung auf. Dann dreht er eine Zigarette, steckt sie an und geht umher. Die rothaarige Frau sitzt im hintersten Eck vor ihrer Schokolade und hat das Gesicht in den Händen vergraben. Eva ist in der Küche und schneidet eine Paprika. Er könnte ihr einen Finger unter die Messerklinge schieben, könnte die Küche ramponieren oder ihr so lange von ihrer ungebrochenen Liebe flüstern, bis sie es, wenn sie in die Zeit zurückgekehrt sein wird, glauben würde.
    Er setzt sich an den Tisch zurück und schließt die Uhr.
    Schwammheimer lacht sein Lachen zu Ende.
    »Wie soll das gehen?« fragt er launig. »Davon hat schon so mancher phantasiert, und es haben sich auch schon gewisse Herrschaften eingebildet, sie hätten die Zeit

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