Die Uhr der Skythen (German Edition)
das Ding geraten?«
Er erzählt seine Geschichte so knapp und distanziert, als wäre sie einem anderen passiert. Von der ruhmlosen Nacht im Container, vom Erwachen in einem Rettungsboot auf den Wellen eines gnädigen Ozeans und von einem hinterlassenen Pappkarton, in dem sich das Zauberding gefunden hat. Von der Entdeckung der magischen Fähigkeit, von den netten Spielereien am Hasetorbahnhof. Von den Überraschungen aber, die er der Freundin und ihrem Liebhaber bereitet hat, schweigt er lieber.
»Warum schläfst du in einem Container?« fragt Schwammheimer.
»Das hat mir die Feuerzangenbowle geraten, die mir Frau Mönkedieck spendiert hat.«
»Wer ist Frau Mönkedieck?«
»Die Gemüsefrau.«
»Natürlich.«
»Man kann eine Menge praktischer Dinge damit anstellen«, erklärt Fokko. »Heute wollte ich ins Kino. Komme um die Ecke, da steht der Bus da und will eben abfahren. Ich renne schon los, da fällt mir die Uhr ein. Öffne sie und habe plötzlich alle Zeit der Welt, setze einem Passanten den Hut falsch herum auf, klaue einer jungen Frau ein Stück Lakritz aus der Tüte und schaue dabei unverschämt in ihren Ausschnitt. Als ich dann gemütlich im Bus sitze, sage ich Abfahrt und schließe die Uhr. Und wenn ein Kontrolleur kommt, halte ich die Zeit an und mache mich aus dem Staub. Die Sache hat zweckmäßige Seiten, ohne weiteres…«
Schwammheimer schickt einen Blick über den Tisch, als korrigierte er eine jahrhundertalte Haltung. »Welchen Film hast du gesehen?«
»Peter Pan.«
Der Altmeister des Ostindienhandels vollführt ein derart gewichtiges Nicken, als ginge es darum, die Nachricht zu begreifen, daß ein Dutzend bis zur Reling mit Muskatnüssen und sonstigen Gewürzen gefüllte Karavellen von den Spaniern auf den Meeresgrund geschickt worden ist.
»Ich verstehe«, sagt er lächelnd.
»Eindrucksvoll«, sagt Fokko, »ist diese absolute Stille. Schön und schrecklich.«
»Möchtest du noch was trinken?«
Fokko schaut das abgestandene Bier an, von dem er einen einzigen Schluck genommen hat. »Nein, ich hatte gestern genug.«
»Etwas essen?«
»Nein.«
»Dann sei so gut und ordere bei der Wirtin einen letzten Aquavit für mich. Und sie soll einen Strich unter die Rechnung machen.«
Es ist ein ehernes Gesetz, es gibt nur eine Rechnung auf den Tisch eins. Wer dort Platz nehmen darf, ist eingeladen und zehrt gewissermaßen von Schwammheimers legendärer Bildung. Und Abend für Abend kratzt Eva ein wenig von der Achtelmillion, notiert die diversen Wässerchen mit ihrer barocken Handschrift in einem separaten Rechnungsheft, so daß die Erben des Dichters dereinst studieren können, wie sich ihr Ahn an den Erbfall herangetrunken und sporadisch seine Zeche beglichen hat.
»Angenehme Ruhe«, sagt sie und stellt den Schnaps auf einen Bierdeckel.
»Ist da jemand anderes, Eva?«
Sie hat eben den Korken von einer Rotweinflasche gezogen, drückt ihn wieder rein, stellt die Flasche beiseite, hält sich mit beiden Händen an der Kante des Tresens fest und sucht mit ihren Laserstrahlen Fokkos Großhirnrinde ab.
»Wenn es dich beruhigt«, sagt sie wieder Wort für Wort, »ich will nichts weiter, als für mich sein, will wissen, wie sich das anfühlt, wenn man morgens erwacht, und es ist nichts zu hören als Vogelgezwitscher, nichts zu riechen als die klare, eiskalte Winterluft.«
Die Standuhr schlägt. Fokko zählt mit. Acht Schläge.
»Niemand anderes?« fragt er erneut.
»Nein!« sagt sie.
Fokko will das Lebenswasser umständlich auf dem Bierdeckel an den ersten Tisch tragen, da steht Schwammheimer schon an seiner Seite, dankt ihm mit einem Nicken und nimmt ihm das Glas ab.
»Wo schläfst du heute nacht?« fragt er ungeniert.
Fokko schaut nach seinen Sachen.
»Im Container?« Schwammheimer kippt den Schnaps.
»Es ist meine Wohnung«, sagt Fokko leise und schielt zu Eva hinüber. Die scheint völlig versunken mit dem Rotwein beschäftigt, hat den Korken wieder raus und füllt ein Glas.
»Wenn du magst, kannst du bei mir wohnen, vorläufig, na ja, mittelfristig meinetwegen.«
Für einen Moment glaubt Fokko, in dem flüchtigen Blick, den Eva ihrem besten Kunden schenkt, etwas erkannt zu haben, das er als Dankbarkeit mißverstehen könnte, vermutlich war es aber nur ein kleines, triumphierendes Gefühl, das ihr entwichen ist wie sonst eine unliebsame Körperreaktion. Was immer es gewesen sein mag, es hat jedenfalls längst der üblichen Geschäftsmäßigkeit Platz gemacht. Schwammheimer quittiert ihr
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