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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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totgeschlagen oder tatsächlich zum Stillstand gebracht. Indem sie eine Bombe gezündet oder ein Schiff in einen Eisberg gesteuert haben. Das vielleicht.«
    Fokko nimmt einen Zug aus der Zigarette und lächelt.
    »Es ist schon geschehen.«
    »Was? Die Zeit steht still?« Er schaut sich in gespieltem Erstaunen um. »Hier ist alles normal, alles in Bewegung.« Wirft einen Blick aus dem Fenster. »Die Zeit steht still, ein paar Schneeflocken trudeln gemütlich dem Erdmittelpunkt entgegen und eine alte Frau führt ihren Hund aus.«
    »Jetzt nicht mehr. Es war.«
    »Wie bitte?«
    »Es war eben.«
    »Was war eben?« Schwammheimer sieht ihm ungeniert in die Augen.
    »Die Zeit hat eben stillgestanden.«
    »Ja, natürlich. Für etwa eine tausendstel Sekunde.«
    »Du hast die weißen Steine«, sagt Fokko und zeigt auf das Carrombrett.
    Schwammheimer merkt nichts.
    »Wolltest du nicht eine Zigarette rauchen?« fragt er.
    »Später.«
    Sie spielen eine Weile. Als Schwammheimer aber den roten Stein versenkt hat und eben konzentriert Maß nimmt, um ihn mit einem weißen Stein zu bestätigen, öffnet Fokko die Uhr. Es dauert nur eine Sekunde. Er holt den roten Stein aus dem Beutel, setzt ihn in das Zentrum des Bretts zurück und schließt die Uhr. Schwammheimer schießt seinen Stein in ein Loch.
    »Der Rote ist meiner«, freut er sich und nimmt den nächsten Stein ins Auge.
    »Blödsinn«, sagt Fokko und deutet in die Mitte.
    Schwammheimer macht große Augen.
    »Wie…?«
    Fokko hat die Uhr geöffnet, den roten Stein genommen und läßt ihn in Schwammheimers leeres Schnapsglas fallen. Dann schließt er die Uhr.
    »Wo…?«
    Fokko deutet auf das Glas.
    Schwammheimer grinst.
    »Guter Trick!«
    »Das glaubst du«, sagt Fokko und öffnet die Uhr abermals. Jetzt läßt er sich Zeit. Steht auf, geht vor die Tür und schaut in den Abend. Das Schönste an seinen Zauberkünsten ist diese unvergleichliche Stille, die er erzeugt. Über den Dächern sind einzelne Wolken aufgemalt, dazwischen blinken ein paar Sterne. Es wäre schön, einen Spaziergang durch die verschneite Stadt zu machen, ungestört zwischen den tiefgekühlten Obsessionen der Mitbürger zu flanieren, ganz für sich zu sein und die nimmermüde Rastlosigkeit der Zeit für eine unbemeßbare Weile nicht zu spüren. Sicherlich nicht für die Ewigkeit, aber er hat jetzt die Möglichkeit, sich aus der Welt zu nehmen, jederzeit und so lange es ihm gefällt.
    Er kehrt ins Café zurück, klaubt den roten Stein aus Schwammheimers Glas, wirft ihn mit den anderen in die Zigarrenkiste, räumt sie mit Puder und Anschreibebuch fort, hängt das Carrombrett an die Wand und geht in die Küche. Eva holt hundert Jahre lang einen Becher Sahne aus dem Kühlschrank. Ob die Kälte ihr nun zu Füßen fällt, die Sahne sauer wird? Dann müßte auch das Kühlaggregat irgendwann anspringen, dann müßte Eva kalte Füße bekommen und würde, was er tut, aus einer Art Wachkoma wahrnehmen. Es kann nur so funktionieren, daß alles, wirklich alles, stillsteht. Es fließt kein Strom, Wärme und Kälte vereinigen sich nicht. Eva spürt nicht, wie er sie sanft an der Schulter berührt, mit ihrem Ohrläppchen spielt und die Lippen einen bedachtsamen Augenblick lang auf ihre Wange drückt.
    »Liebste Eva«, sagt er still, aber er ist sich sicher, daß sie ihn nicht hört. Der Becher in ihrer Hand zittert nicht. Er könnte ihn nehmen, den Deckel ein Stück weit aufziehen und die Sahne in den rosafarbenen Ausschnitt ihres Poloshirts fließen lassen, wo sie sich nach dem merkwürdigen Sondergesetz der Schwerkraft einen Weg zwischen ihren wehrhaften Brüsten hindurch bis in verfängliche Gefilde suchen würde, aber das will er nicht, will sie nicht bloßstellen, will ihr nicht wehtun, obwohl der Schmerz in seinem Herzen auch unter dem Zeitstillstand spürbar ist. Er möchte seine Zauberkraft vergrößern, möchte die Zeit nicht nur anhalten, sondern zurückdrehen können an einen Punkt, wo alles unbeschwert gewesen ist, fraglos und leicht, zurück zu der Sekunde, in der das schüchterne Mädchen seine Hand ergriffen hat, als nähme sie einen Apfel vom Baum.
    Vielleicht, denkt er, kann die Uhr das auch. Er gibt ihr einen Kuß auf die Lippen, nicht warm, nicht kalt, er spürt wohl nur seine eigene Temperatur. In ihren lichtlosen Augen steht nichts geschrieben, und die Macht, die er jetzt über sie besitzt, bereitet ihm wieder dieses disparate Gefühl von Befangenheit und Lust. Was aber Eva angeht, will er nicht die

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