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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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Macht, er will eine vernünftige Erklärung, er will begreifen, warum sie ihn plötzlich von sich geworfen hat wie ein durchschwitztes Sporthemd. Schwammheimers Lotsentheorie ist ausgemachter Unsinn. Sie hat ihm von Anfang an genauso den Kurs gewiesen wie er ihr, und wenn man glauben wollte, die Routen der Liebe mit Schifffahrtslinien vergleichen zu können, dann wäre das Ende einer Beziehung nicht schmerzhafter als der Abschied von einem fremden Dampfer, der hinter dem Horizont verschwindet.
    Er holt den Aquavit aus der Kühlung, geht und füllt des Dichters Glas, bringt die Flasche zurück, setzt sich an den Tisch und schließt die Uhr.
    Schwammheimer schaut noch immer auf das Schnapsglas. Wo er den roten Carromstein erwartet, funkelt jetzt ein frischer Aquavit im Kerzenlicht.
    »Sehr guter Trick«, sagt er. »Verwandelst Carromsteine in Genever.«
    Fokko schüttelt den Kopf.
    »Wie machst du das?« will Schwammheimer wissen, und jeglicher Frohsinn ist ihm aus dem Gesicht gewischt.
    »Ich halte die Zeit an.«
    »Nein.«
    »Fällt dir nichts auf?«
    »Was?«
    »Was haben wir gerade eben getan?«
    »Gerade eben? Carrom gespielt.«
    »Richtig.«
    Er gibt ihm Zeit. Schwammheimer, den man nicht unbedingt als begriffsstutzig bezeichnen kann, schleift einen bleischweren, einfältigen Blick vom Tisch bis an die Wand, an der das Carrombrett hängt. Dort bleibt er eine Ewigkeit kleben, ehe er Fokkos Augen findet.
    »Der rote Stein?« fragt er. Die Resignation in seiner Stimme ist so tief, als hätte er eben erfahren, daß das Triebwerk nicht gezündet hat, daß sie nun am Mond vorbeifliegen und in der Zeitlosigkeit des Universums verschwinden werden.
    Fokko deutet mit dem Daumen hinter sich.
    »Ist bei den anderen Steinen in der Zigarrenkiste.«
    »Du hast also die Steine weggeräumt, das Puder, das Buch und das Brett. Du hast den Schnaps organisiert und trotzdem diesen Stuhl da nicht verlassen.«
    »Ist dir das so gegangen?«
    »Wie bitte?«
    »Hast du das so wahrgenommen?«
    »Was?«
    »Daß ich nicht weg war.«
    »Natürlich nicht.«
    »Wieviel Zeit ist für dich vergangen?«
    »Wann?«
    »Du hast doch den roten Stein im Glas gesehen?«
    »Ja.«
    »Und dann hast du den Genever gesehen.«
    »Ja.«
    »Was war dazwischen?«
    »Nichts.«
    »Nicht eine Sekunde, ein unbestimmter, bildloser Augenblick?«
    »Nein, kein Stück. Es war der Stein da, es war der Schnaps da. Nahtlos.«
    »Nahtlos. Diese Zeitlosigkeit hat ein paar erkleckliche Minuten gedauert.«
    Schwammheimer schenkt ihm ein schiefes Lächeln.
    »Mein lieber Freund«, beginnt er dann feierlich, »du willst also behaupten, du wärest in der Lage, die Zeit anzuhalten. Ohne daß jemand Gewöhnliches wie per exemplum meine Geringfügigkeit es überhaupt bemerkt. Und in dieser zeitlosen Zeit, räumst du auf und besorgst Aquavit.«
    »Ziemlich genau so. Nur, daß ich noch spazieren war.«
    »Spazieren.«
    »Es funktioniert so«, sagt Fokko und nimmt die Uhr in die Hand. »Wenn ich sie öffne, bleibt die Zeit stehen. Nur für mich nicht. Wenn ich sie schließe, läuft die Zeit weiter.«
    Schwammheimer schaut ihn an, als hätte er erklärt, sich auf der Stelle in ein Lebenswasser verwandeln zu können oder in einen roten Carromstein.
    »Mach vor!« stöhnt er.
    »Du wirst wahrscheinlich nichts merken.«
    »Mach es vor!«
    Fokko öffnet die Uhr und zählt langsam bis zehn. Schwammheimer schaut ihm die ganze Zeit auf die Finger.
    »Was hast du gesehen?« fragt Fokko, als er die Uhr wieder geschlossen hat.
    »Du hast die Uhr geöffnet und geschlossen.«
    »Wie weit geöffnet?«
    »Na, so ein Stückchen eben…«
    »Wie lange hat das gedauert?«
    »Eine Sekunde genau.«
    »In dieser Sekunde habe ich gemütlich bis zehn gezählt.«
    Schwammheimer schüttelt den Kopf.
    »Es ist absolut nichts passiert«, behauptet er. »Uhr auf, Uhr zu, fertig ist der Zauber.«
    Fokko lacht.
    »Ich könnte diese Uhr öffnen, dich hier sitzen lassen und einen Spaziergang durch den schönen Schnee zu dir nach Hause machen. Dort würde ich mit deiner Erlaubnis das Buch vom Nachtschrank oder den Diamanten aus dem Tresor holen und sie dir, sagen wir mal, eine gute Stunde später als Beweis auf diesen Tisch legen.«
    Schwammheimer wirft einen Blick auf die Standuhr, dann greift er sich sein Glas, als wäre er in höchster Not, und stürzt den Aquavit hinab.
    »Und die Zeit hier?«
    »Bleibt stehen. Zehn vor acht«
    Schwammheimer zeigt ein kritisches Lächeln.
    »Die Standuhr lügt und betrügt.«
    Er

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